Die Äbtissin
verstanden. Auf den Wegen herrschte reges Leben, und immer wieder begegneten ihnen Truppen von bis an die Zähne bewaffneten Soldaten, die im gestreckten Galopp vorbeipreschten und die Reisenden in eine Staubwolke hüllten, die ihnen in die Augen drang und sie husten ließ.
»Aber wo wollen sie so eilig hin?« Joaquina war jedes Mal zu Tode erschrocken, wenn sie einer solchen Truppe begegneten. »Wir werden doch nicht mitten in eine Schlacht geraten?«
Salazar amüsierte sich über ihre Befürchtungen und ließ sich keine Gelegenheit entgehen, ihr einen Schrecken einzujagen.
»Das wäre nicht weiter erstaunlich, Joaquina. Ihr habt ja bereits gehört, wie unbeherrscht wir Biskayer sind. Ich kann Euch versichern, dass kein Tag vergeht, ohne dass es zu einem Gefecht mit Hunderten von Toten kommt.«
»Barmherzige Muttergottes!«, rief die arme Frau aus.
»Doña María, weshalb nur habt Ihr uns hierher gebracht? Vielleicht war es Gottes Wille, dass es mich in dieses Heidenland verschlägt und ich fern von meinem schönen Kastilien sterbe…«
»Merkst du denn nicht, dass Don Gonzalo scherzt?«, entgegnete die Äbtissin. »Und weshalb sagst du, dies sei ein Heidenland? Hast du nicht die vielen Kirchen und Einsiedeleien am Wegesrand bemerkt?«
»Kirchen und Einsiedeleien, die heilige Märtyrer als Bollwerk gegen das Böse und seine Anhänger errichtet haben«, beharrte Joaquina. »Und derer müssen viele sein, wenn sich die Frauen derart kleiden und etwas auf ihrem Kopf tragen, das aussieht wie Teufelshörner.«
María musste zugeben, dass Joaquina Recht hatte. Die Frauen, in den größeren Marktflecken mehr als auf dem Lande, trugen einen sonderbaren, auffälligen Kopfputz. Es war ein mit weißem Leinen umwickeltes, in Form eines Hornes oder gar zweier Hörner nach vorne oder gerade nach oben gebogenes Gestell, das hoch über ihre Köpfe ragte. Der Stoff umrahmte auch das Gesicht und ließ weder das Haar noch den Hals frei. Trotz dieser unbequemen Gestelle und hoher Holzschuhe, die nicht minder unbequem aussahen, bewegten sie sich mit großer Anmut.
»Es ist so Brauch bei uns«, erklärte Inés, »dass die verheirateten Frauen diesen Kopfputz tragen, wenn sie das Haus verlassen.«
»Weshalb diese sonderbaren Formen?«
»Diese entsprechen dem Familienstand. Ein Horn bedeutet einen Ehemann, zwei, dass die Frau zum zweiten Mal verheiratet ist. Witwen, die nicht wieder geheiratet haben, tragen eine flache Haube.«
»Und die unverheirateten Mädchen?«
»Sie gehen barhäuptig und tragen das Haar geschoren wie Ordensbrüder, jedoch vorne und an den Seiten länger, wie das Mädchen, das dort drüben geht.«
Ihnen kam ein junges Mädchen entgegen, das tatsächlich barhäuptig war und das Haar sehr kurz trug, mit einigen Locken über der Stirn und den Ohren, an denen große Silberohrringe baumelten.
»Und du, Inés? Hattest du auch das Haar geschoren?«, fragte María neugierig.
»Aber ja.« Inés lachte unsicher. »Seit ich den Schleier trage, ist es allerdings ziemlich gewachsen.«
»Und welche Farbe hat Euer Haar?«, schaltete sich der Hauptmann in die Unterhaltung ein.
»Es ist braun.«
María lächelte, als sie sah, dass die junge Klosterschülerin erneut errötete.
Zwei Monate und vierzehn Tage nach ihrer Abreise aus Madrigal erreichten sie die Anhöhe von Miraflores. Von dort hatten sie einen Blick über die Stadt Bilbao, und María wurde von Bewegung ergriffen. Es war noch ein gutes Stück bis zum Stadttor, und der Abstieg ging nur langsam vonstatten, weil die Straße stark befahren war, aber so blieb ihnen Zeit, die Aussicht zu genießen, die sich vor ihren Augen ausbreitete.
Die Stadt lag im dreifachen Schutz der Berge, einer hohen Mauer und des Flusses, der einen Bogen um nahezu die ganze Stadt beschrieb und dann dem Meer zu floss. Alle Häuser waren etwa gleich hoch, nur überragt von den Türmen der Paläste und den Wohnfestungen der gefürchteten großen Familien, von denen Inés und Don Alvaro Fernández so viel erzählt hatten, sowie den Glockentürmen der beiden Kirchen: San Antonio am einen und Santiago am anderen Ende der Stadt.
»Wird der heilige Jakobus hier so verehrt, dass man ihm die größte Kirche weiht?«, fragte María interessiert, als der Hauptmann davon sprach.
»Ja, Señora, sehr. Ihr müsst bedenken, dass auch hier ein Pilgerweg verläuft. Hunderte von Gläubigen aus Frankreich, England, Flandern und anderen Ländern kommen auf ihrer Pilgerschaft nach Santiago de
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