Die Äbtissin
suchten wir weiter. Inés’ Großvater Gonzalo de Butrón, ein Edelmann mit großem Einfluss in dieser Gegend, trat für uns ein und versuchte mithilfe einiger einflussreicher kastilischer Herren, die ihm eine Gefälligkeit schuldeten, euren Aufenthaltsort ausfindig zu machen. Alles war umsonst, und die Jahre gingen ins Land. Deine Großmutter, der du so ähnlich siehst, verlor die Hoffnung und, was noch schlimmer ist, den Lebensmut. Ich sah, wie sie allmählich verlosch und in eine tiefe Schwermut verfiel, aus der erst der Tod sie befreite.«
»Ach, wie viel Schmerz und wie viel Leid!«, rief María und konnte die Tränen nicht zurückhalten.
Die Anstrengung und die Aufregung hatten den Alten erschöpft, und der Tag neigte sich bereits dem Ende zu. María und Inés verabschiedeten sich von ihm, nicht ohne zuvor tausendmal versprochen zu haben, am nächsten Tag ganz gewiss wiederzukommen.
Schweigend gingen sie zum Kloster zurück. Was hätten sie sagen sollen? Das Schicksal konnte so ungerecht sein zu jenen, denen es nicht vergönnt war, ein normales, glückliches Leben zu führen. Wäre Toda nicht zum Spielball der Interessen ihrer Familien geworden, hätte sie nicht bei dem unheilvollen Bankett bedient, hätte Don Ferdinand nicht so viel Gefallen an den Frauen gefunden… Aber warum darüber nachdenken, was hätte sein können? María fehlten nur noch wenige Bruchstücke, um das Rätsel ihres Lebens zu lösen, und sie war fest gewillt, bis zum Ende zu gehen, mit Gottes Hilfe… oder der des Teufels.
Die Wochen vergingen, und María hatte keine Eile, nach Madrigal zurückzukehren, obwohl Joaquina ungeduldig die Rückreise herbeisehnte.
»Wann gedenkt Ihr Euch auf den Heimweg zu machen?«, fragte sie bei jeder Gelegenheit. »Habt Ihr den Auftrag, der Euch hierher führte, noch nicht abgeschlossen?«
»Bald, Joaquina, bald…«, antwortete sie dann lächelnd.
Sie ging jeden Tag zum Hause ihres Onkels, manchmal begleitet von Inés, manchmal alleine. Sie wurde nicht müde, das alte Gemäuer von oben bis unten zu durchstreifen, jeden Winkel zu durchstöbern, um zu sehen, ob etwas Erinnerungen in ihr wachrief, und darauf zu hoffen, irgendeine kleine Spur ihrer Mutter zu entdecken. Sie sprach immer wieder mit ihrem Onkel und ermunterte ihn, sich an jedes kleine Detail über Toda und sie selbst, ihre Großmutter und andere tote oder noch lebende Verwandte zu erinnern. Es waren erfüllte, glückliche Tage, und sie war sich sicher, dass die Erinnerung daran ihr helfen würde, die Jahre, die ihr noch blieben, mit größerer Gelassenheit zu ertragen und den Kummer darüber zu lindern, dass sie nicht wusste, was aus ihrer Mutter geworden war.
Eines frühen Morgens gingen Inés und María wie gewöhnlich zum Turm Etxeberri. Auf dem Platz herrschte großer Aufruhr und vor der Tür drängten sich zahlreiche Leute. Sie sprachen leise und redeten über das Ereignis, von dem dann auch die beiden Ordensfrauen erfuhren: In der Nacht war Pedro de Larrea gestorben. Die Nachricht traf María wie ein Keulenschlag. Andresa öffnete ihnen die Tür und ließ sie ein. Die arme Frau weinte untröstlich und wischte sich in einem fort die Augen mit dem Schürzenzipfel. Schluchzend erklärte sie ihnen, dass der Herr am Vorabend nach ihrem Besuch den Notar Domingo Pérez de Vitoria zu sich bestellt und sein Testament gemacht habe. Sie und der alte Diener Erramun seien Zeugen gewesen. Dann habe er darum gebeten, ihn alleine zu lassen. Als er am Morgen nicht wie sonst in die Küche gekommen sei, um das Futter für seine alten Jagdhunde zu holen, sei sie nach oben in sein Zimmer gegangen und habe ihn tot aufgefunden. Er habe an seinem Schreibtisch gesessen. Er habe sich nicht schlafen gelegt, sondern offenbar die ganze Nacht gearbeitet und Schriftstücke und Dokumente geordnet, so als hätte er gewusst, dass das Ende nahe war.
Andresa führte sie in Don Pedros Zimmer. Pedro de Larrea lag auf seinem Bett. Später erfuhren sie, dass es sehr schwierig gewesen war, seine Gliedmaßen zu strecken, da die Totenstarre bereits eingetreten war, als er noch am Schreibtisch saß. Sie hatten ihm seine besten Kleider angezogen, eine lange, golddurchwirkte Tunika aus ockergelbem Samt, die er an den Festtagen der Stadt getragen hatte. Um sein Gesicht und das Kinn hatte man ein Atlasband geschlungen und oben auf dem Kopf verknotet, um die Kiefer zusammenzuhalten und den Mund zu schließen. Er wirkte friedlich. Die beiden Frauen knieten nieder und
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