Die Äbtissin
begannen, die Totengebete zu sprechen. Die übrigen Personen, die sich im Zimmer befanden, Angehörige, Freunde und Bedienstete, stimmten in ihr Gebet ein.
An diesem Abend kehrten sie nicht ins Kloster zurück. Don Pedro wurde in ein Leichentuch gehüllt, welches das Gesicht frei ließ. Dieses Meztidura genannte Leichentuch woben und bestickten die baskischen Frauen, wenn sie heirateten, denn der Volksmund mahnte, selbst in glücklichen Momenten, wie eine Hochzeit es war, nicht zu vergessen, dass auf jeden irgendwann der Tod wartete. Der Verstorbene wurde in einen Sarg gelegt und nach unten in den Raum gebracht, in dem er und María sich zum ersten Mal begegnet waren. Die Bediensteten hatten den Kamin angefacht und zahllose Lampen und Kerzen entzündet. Es standen auch lange Tische mit Essen und Trinken für die Angehörigen und Freunde bereit, die zur Totenwache kamen und denen man während der Nacht eine Stärkung anbieten musste. Man hätte meinen können, dass ein Fest gefeiert werden sollte, hätte nicht auf der Truhe in der Mitte des Raumes der Sarg gestanden. Es kamen viele Leute, einige aus weit entfernten Dörfern, wie Inés María zuraunte, während einer nach dem anderen den Raum betrat.
Die Zeremonie beeindruckte María sehr. In der Gauila, der Totennacht, wie sie in der alten Sprache der Biskayer hieß, versammelten sich alle Anverwandten und Freunde, die dem Verstorbenen die letzte Ehre erweisen wollten. Die Neuankömmlinge traten mit einer Kerze in der Hand an den Sarg und legten einige Münzen in ein Körbchen, das auf einem Hocker bereitstand.
»Weshalb tun sie das?«, wollte María von Inés wissen.
»Um die Reise ins Jenseits zu bezahlen.« Als Inés das verdutzte Gesicht der Nonne sah, erklärte sie lächelnd: »Es ist für die Seelenmessen.«
Einige rezitierten oder sangen etwas. Inés erklärte ihr, dass es Brauch sei, Endechas anzustimmen, improvisierte Verse. In diesem Fall erzählten sie von Don Pedro, seinem Leben und seinem Tod. Auch bei anderen Anlässen, bei einer Hochzeit, der Geburt eines Kindes oder einer verlorenen Schlacht, wurde dieser sonderbare Brauch gepflegt. María verstand nicht, was sie sangen, aber es kam ihr so vor, als würde jeder den Tod eines geschätzten und geachteten Mannes betrauern. Sie saß mit Inés und Gonzalo Lope de Salazar in einer Ecke. Der Hauptmann war sofort gekommen, als er von der Nachricht erfuhr. Die beiden Frauen hatten das Gesicht mit einem Trauerschleier bedeckt, doch die Augen der Äbtissin waren fest auf eines der Porträts an den Wänden gerichtet, das ihrem Onkel zufolge ihre Mutter zeigte. Es war das Bildnis einer sehr jungen Frau mit lebhaften, fröhlichen Augen, schmaler Nase und einem heiteren Lächeln. Jeden Tag, wenn sie das Haus betrat, ging sie in den Raum und betrachtete es eine Weile. Sie wollte, dass sich das Bild in ihr Gedächtnis eingrub, damit sie es nie mehr vergaß.
Gegen Mitternacht war lauter Lärm vor dem Haus zu hören. Kurz darauf betrat eine Gruppe bewaffneter Männer den Raum. Sie eskortierten zwei schwarz gekleidete Männer und bahnten ihnen einen Weg zum Sarg. María erkannte den Jüngeren, Größeren wieder. Es war Inés’ Vetter Tristán, den sie am Tag ihrer Ankunft in Bilbao auf dem Vorplatz der Kathedrale gesehen hatte. Den Blick starr geradeaus gerichtet, ohne sich dazu herabzulassen, einen der Anwesenden zu grüßen, hatte er einen Mann untergefasst, der fast ebenso groß war wie er, jedoch um einiges älter. Die außerordentliche Ähnlichkeit zwischen den beiden ließ María begreifen, dass der Alte sein Vater sein musste, der gefürchtete Tristán Díaz de Leguizamón der Ältere, der Anführer der Oñacinos, welchen auch sie durch Geburt angehörte. Dieser Mann war für das Unglück ihrer Mutter, ihrer Großmutter und auch ihr eigenes verantwortlich.
Nachdem sie den Toten in Augenschein genommen und festgestellt hatten, dass es sich tatsächlich um ihren Verwandten handelte, warfen die beiden Tristáns, Vater und Sohn, einige Golddoblas in das Körbchen und gingen zu den Holzbänken. Der Altere nahm auf dem Stuhl mit dem Baldachin Platz, während der Jüngere neben ihm stehen blieb. María konnte ihren Blick nicht von dem alten Mann wenden und versuchte sich ihn vorzustellen, wie er dreißig Jahre zuvor ihre Mutter geschlagen und sie gezwungen hatte, das Bett mit dem König zu teilen. Sie brauchte nur den jungen Leguizamón anzusehen, um sich ein Bild davon machen zu können, wie sein Vater damals
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