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Die Ängstlichen - Roman

Die Ängstlichen - Roman

Titel: Die Ängstlichen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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die Extremitäten fehlten, abgerissene oder verschmorte, zwischen den Trümmern herumliegende Arme und Beine.
    Hinterher, als die Engländer abgedreht waren und der Lärm ihrer Maschinen dem Stöhnen der Verletzten und den verzweifelten Rufen der Überlebenden gewichen war, war Johanna durch die brennenden Überreste einer ausradierten, in Schutt und Asche liegenden Stadt geirrt.
    Ohne Janek kam Johanna die Wohnung leer und kalt vor. Selbst unter der Bettdecke, die ihren Körper wie eine luftdicht um sie gebreitete Fangomasse umschloss, fröstelte es sie. Wo mochte er bloß sein? Warum kam er denn nicht nach Hause? Und warum rief er sie nicht wenigstens an?
    Entschlossen, ihre immerzu um Janek kreisenden Gedanken hinter sich zu lassen, presste sie die Augen zu. Doch das Hinabgleiten in die Schwärze wollte ihr partout nicht gelingen.
    »Nein!«, würde sie Bens zu erwartende Einwände gegen ihren Entschluss, der Ankergasse in Richtung Herz-Jesu-Stift den Rücken zu kehren, kontern. »Ich will einfach nicht länger an all das erinnert werden, was dort geschah!«
    Mit Frau Gelpke, der manchmal aus heiterem Himmel kichernden Stiftsleiterin, hatte sie bereits alles Notwendige besprochen und ihren Eintritt ins Heim (einen mausgrauen Fünfziger-Jahre-Bau mit ständig heruntergelassenen Rollläden, hinter denen lautlos gestorben wurde) zum nächsten Quartal besiegelt.
    Während Johanna den unbefristeten Mietvertrag, der einenBetreuungsvertrag einschloss, unterschrieb, hatte sie kurz das irritierende Gefühl gehabt, eine Art Abtretungserklärung zu unterzeichnen, die sie schlagartig aller persönlichen Rechte enthob. Aber das war natürlich nur so ein dummer Gedanke. Hinterher war sie entlang der Philippsruher Allee nach Hause gelaufen, langsam und ganz betäubt von dem, was sie gerade erlebt hatte. (Hatte sie sich tatsächlich dazu bereiterklärt, sich jemandem wie Frau Gelpke anzuschließen?) Dabei ging ihr nicht aus dem Sinn, was auf dem hellen Plakat an der Wand hinter Frau Gelpkes schickem Drehsessel gestanden hatte: »Herzlich willkommen! In unserer kleinen Stadt für ältere Menschen. Herz-Jesu-Stift.« Sie hatte das Plakat immer wieder entgeistert angestarrt, und je länger sie lief, desto unbehaglicher wurde ihr die Vorstellung, sich einer Horde fideler Rentner in die Arme zu werfen.
    Bevor sie auseinandergingen, hatte Frau Gelpke ihr angeboten, in Kürze einen Informationsnachmittag an der Seite einer ihrer Assistentinnen vor Ort verbringen zu können, um sich einen besseren Eindruck darüber zu verschaffen, wo sie ihren Lebensabend (ja, so hatte Frau Gelpke das genannt, »Lebensabend«) verbringen würde. Am liebsten wäre Johanna, nachdem sie auf Höhe der Pumpstation atemlos stehen geblieben war, auf der Stelle zurückgelaufen, um ihren begangenen Fehler zu korrigieren und den unterschriebenen Vertrag für ungültig zu erklären. Doch die Vorstellung, allein und hilfsbedürftig in ihren vier Wänden darauf zu warten, dass es bergab ging mit ihr, erschien ihr keineswegs verlockender.
    Einen bitteren Vorgeschmack darauf, was es hieß, hilflos zu sein, hatte sie erst kürzlich bekommen, als ihr ihre Uhr aus der Hand geglitten, unmittelbar vor ihrem Bett auf den Boden gefallen und das über fünfzig Jahre alte Glas in tausend Teile zersprungen war. Zitternd und schnaufend war sie auf die Kniegesunken und auf allen vieren über den Holzboden gekrochen, hatte mit verächtlichem Blick die Uhr geschnappt und anschließend mit leicht schräg gehaltenem Kopf und über den Rand ihrer Brille hinweg nach Glasscherben Ausschau gehalten. Dabei hatte sie mit ihrer flatternden rechten Hand so lange kreisförmig über den Untergrund gestrichen, bis sie meinte, ein größeres Stück Glas zu fassen bekommen zu haben, und entschlossen zugepackt. Doch stattdessen hielt sie, wie sie zu ihrer Beschämung feststellen musste, nachdem sie sich schwerfällig aufgerichtet hatte, ein klebriges Bruchstück jenes inzwischen staubigen Hustenbonbons in der Hand, das ihr tags zuvor, kaum dass sie es in den Mund geschoben hatte, urplötzlich herausgerutscht und auf den Boden gefallen war.
    Oh, wie jämmerlich war ihr ihr Tun noch in derselben Sekunde vorgekommen! Sie war den Tränen nahe gewesen. Doch damit nicht genug: Als sie am selben Abend, nachdem sie sich bereits entkleidet hatte, um zu Bett zu gehen, barfuß ans Fenster getreten war, um die Stores zuzuziehen, war ein jäher Schmerz durch ihre rechte Fußsohle geschossen. Auf dem Bett

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