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Die Ängstlichen - Roman

Die Ängstlichen - Roman

Titel: Die Ängstlichen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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fernen, von seinem kochenden Blut produzierten Widerhall des über dem Land tobenden Unwetters. Seine ausgetrocknete Mundhöhle brannte, und in den Leisten registrierte er bei jeder Bewegung einen Stich. Dazu die schmerzhafte Erektion, die ihn quälte, seit sie ihm das Zeug verabreicht hatten, und ihm das Gefühl gab, jeden Moment müsse seine Eichel zerplatzen und sein Unterleib bersten.
    In einer jähen Bewegung öffnete er den Mund, riss die Kiefer auseinander, schlug blindlings seine Zähne in den Rücken seiner linken Hand, wieder und wieder. Bis er spürte, wie ihm das warme Blut in die Mundhöhle lief und das Brennen darin nachzulassen begann.
    Konrad leckte sich den leicht salzig schmeckenden Körpersaft vom Handrücken, versuchte die Tätigkeit seiner Augen, so gut es ging, zu kontrollieren und die Lider geschlossen zu halten, damit das rhythmische Blitzen auf seinen Netzhäuten aufhörte. Das Neurozil kreiste in seinem Blut wie ein wütender Haifisch in einem Swimmingpool auf seiner verzweifelten Suche nach einem Schlupfloch hinaus ins Meer.
    Ich muss Ben anrufen, schoss es durch sein erregtes Hirn, ja, Ben soll kommen, soll Kaffee und Zigaretten bringen! Seit seinem letzten Besuch waren ihm gerade mal zwei Päckchen geblieben.
    Konrad versuchte sich aufzurichten und die Augen zu öffnen.Doch schon im nächsten Moment gab er sein Vorhaben auf und ließ sich aufs Bett zurücksinken. Denn sobald er sich erhob, rollte ein bohrender Schmerz durch seinen Kopf, so als drücke das Gehirn gegen die Schädelbasis und die Stirnplatte.
    Er atmete langsam ein und wieder aus und streckte, auf dem Rücken liegend, unsicher alle viere von sich. Für einen Moment vergaß er sogar den pulsierenden Schmerz in seiner linken Hand. Bevor er einschlief, hörte er, wie der Sturm noch immer wütend gegen die Scheiben schlug, ehe er langsam Richtung Nordhessen abdrehte, sich über Darmstadt sammelte, zurück Richtung Hanau zog und schließlich in einer weit ausholenden Rechtskurve unaufhaltsam auf Fulda zuraste.
     
    U lrike war nie sonderlich hübsch gewesen, hatte aber stets etwas Sehniges, Gespanntes ausgestrahlt, so als stemme sich etwas Größeres, Eingesperrtes in ihr gegen die tatsächliche Begrenztheit ihrer Figur. In den Winkeln ihres Mundes hatten sich kurze, markante Falten eingenistet, wodurch er etwas Gieriges bekommen hatte. Eine Gier, die sie inzwischen mit großen fetttriefenden Stücken Schwarzwälderkirschtorte stillte, die sie sich hinter Rainers Rücken und öfter, als ihrem Cholesterinspiegel guttat, gönnte. Ihr Haar war dünner, stumpfer geworden, ihr Bauch, ihre Hüften und die Oberschenkel fülliger – trotz der vielen kleinen chirurgischen Eingriffe in den letzten Jahren –, was sie neuerdings, wenn sie genau wie früher dreimal wöchentlich mit hochrotem Kopf die karminrote Tennisplatzasche umpflügte und ihrer im gegnerischen Halbfeld postierten Partnerin Ute die Bälle fauchend um die Ohren drosch, plump wirken ließ. Eine kleine tuckernde Lokomotive mit menschlichem Antlitz, die sich immer neue Anhöhen hinaufquälte und Dampf abließ.
    Ulrike hatte die kantige, unvorteilhafte Physiognomie ihrerMutter Johanna geerbt: kleine Brüste, keine Taille und einen zu massiven Oberkörper. Dazu kurze Beine. Ihr Leben lang hatte sie dagegen angekämpft, nicht in deren linkische, dabei stets leicht schwerfällig wirkende Bewegungsabläufe zu verfallen. Ulrike hatte bis zum Umfallen Sport getrieben, die Nägel ihrer stummelartigen und immer leicht geschwollen wirkenden Finger lackiert, auf ihre Ernährung geachtet, Alkohol gemieden und sich viel Schlaf gegönnt. Alles vergebens. Denn wer sie nun von weitem sah und Johanna kannte, musste unweigerlich glauben, eine jüngere Ausgabe dieser vor Augen zu haben.
    Neuerdings kam sie öfter aus der Puste, und am Abend spürte sie immer häufiger ihre Krampfadern. Kurz: Mit Ulrike und ihrem Leben gingen kleine, nicht zu übersehende Veränderungen vor sich. Es waren, doch das begriff sie noch nicht in aller Konsequenz, die sich mehrenden Zeichen des Verfalls: Kurze, unerklärliche Blackouts und Absenzen, die sie manchmal im Gespräch unvermittelt den Faden verlieren ließen, ihren Blick kurz verschleierten und ein nervöses Zucken der Oberlippe zur Folge hatten.
    Früher hatte Ulrike geglaubt, die Bahn ihres Lebens sei endlos und gleiche einer dieser immer sonnigen südamerikanischen Rollbahnen, die einem lang und länger erschienen, wenn man in einer Maschine saß und

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