Die Ängstlichen - Roman
Rendezvous getragen hatte, und bedeckte damit sein Gesicht.
E r schläft wie ein Baby«, sagte Ulrike mit hörbarer Selbstzufriedenheit in der Stimme, nachdem sie Britta zunächst ausführlich von ihrer Serie kleiner Unfälle und Unbilden berichtet hatte. Während sie sprach, musste sie mit Blick auf ihren verbundenen rechten Daumen ein teenagerhaftes Glucksen unterdrücken. »Und wie es aussieht, ist der ganze Weiberspukauch vorbei.« (Sie hatte Rainer gegen den Durchfall zunächst zwei Kapseln Perocur forte verabreicht und ihm fiebersenkende Wadenwickel gemacht – infolge einer abrupten Sollwertverschiebung im hypothalamischen Wärmeregulierungszentrum war Rainer an die für Männer seines Alters nicht ungefährliche 40-Grad-Marke getrieben. Etwas später hatte er obendrein auf ihr Drängen hin und ohne Murren auch noch eine Dosierkappe voll Wick MediNait geschluckt und war brav in die Kissen zurückgesunken.)
»Wie hast du denn das angestellt?«, erwiderte Britta neugierig.
»Tja, Betriebsgeheimnis«, antwortete Ulrike mit hörbarer
Genugtuung, »ich bin ja schließlich nicht blöd. Hab da eben so meine kleinen Tricks.«
»Na komm, sag schon!«, ließ Britta in ihrer neugierigen Art nicht locker.
»Nicht am Telefon, falls du verstehst, was ich meine«, sagte Ulrike verschwörerisch. »Das erzähl ich dir mal in aller Ruhe, unter vier Augen.«
»Mein Gott, Ulrike, das klingt ja spannend«, sagte Britta und gähnte.
»Lass uns ein andermal weiterreden, ja«, sagte Ulrike, schickte aber noch gut gelaunt hinterher: »Alles wird gut, ich weiß es!« Dabei knotete sie mit ihrer unverletzten Hand ihren Bademantel über dem Negligé zu, schlüpfte in ihre Hausschuhe (goldfarben bestickt, verblasstes Rot) und schlurfte aus dem ehemaligen Badezimmer der Kinder, in das sie sich manchmal zum Telefonieren zurückzog und einschloss, wenn sie sicher sein wollte, ungestört zu sein, Richtung Treppe.
»Ja, alles wird gut!«, wiederholte Britta und legte auf.
Hinter Ulrike lag ein Tag voller Tücken, und sie war froh, dass er langsam zu Ende ging. Am Morgen war ihr beim Mähen des Rasens hinter dem Haus unglücklicherweise das Stromkabelin die Messer geraten und hatte mit einem ziemlichen Knall einen Kurzschluss verursacht. (Die beiden an eine zerteilte Kreuzotter erinnernden Kabelstücke hatte sie flugs in die Mülltonne unter einem eigens dafür hastig zerkleinerten Karton verschwinden lassen, damit Rainer nichts bemerkte. Das Ersatzkabel hatte sie bereits telefonisch bestellt, und das bisherige würde sie auf Nachfrage als unauffindbar bezeichnen.) Nach dem Essen hatte sie sich beim Aufräumen in der Küche derart tief an dem empörend scharfkantigen Deckel einer leeren Tomatendose geschnitten, dass das Blut wie auf Knopfdruck aus dem Ballen ihrer rechten Hand hervorgeschossen war und in der Küche eine ziemliche Sauerei verursacht hatte. Und beim Abtrocknen war ihr zu allem Überdruss auch noch einer der ungeliebten Kristall-Römer, die Johanna ihr geschenkt hatte, aus der Hand gefallen und mit einem stumpfen Knall ganz unsentimental zu Bruch gegangen. Mit großen Augen hatte sie die Bescherung betrachtet und gemurmelt: »Tja, liebe Johanna, Römer sind eben auch nur aus Glas!« Trotzdem war sie noch immer nicht wirklich müde. (Ulrike hasste es, wach im Dunkeln neben Rainer zu liegen, sein Schnarchen zu hören und sich stundenlang von der einen Seite auf die andere zu drehen.)
Sie tappte hinunter ins Wohnzimmer, knipste das Lämpchen über dem Kamin an, das ein schütteres teefarbenes Licht im Raum verbreitete, und gönnte sich einen kleinen Veterano. (Am liebsten trank sie den Jerez-Brandy, kurz unter Wasserdampf erhitzt, denn so entfaltete sich sein Bouquet am besten.)
Mit dem Schwenker in der Hand, dessen Inhalt sein intensives Pflaumenaroma verströmte, trat sie ans Fenster, schob den schweren, blickdichten Brokatübervorhang ein Stück zur Seite und spähte hinaus in den vom Mondlicht silbergrau beglänzten Garten. Dann schielte sie hinauf zu den an diesem Abendgut sichtbaren Sternen. Saturn stand in Opposition zur Sonne, und Merkur zeigte sich tief über dem Westhorizont, ganz in der Nähe der Venus. Doch am interessantesten erschien ihr mal wieder Epsilon/Aurigae, das all die anderen sichtbaren Gestirne in seinen Bann zu ziehen und mit zu beleuchten schien. Die Herbststernbilder kündigten den bevorstehenden Wechsel der Jahreszeit an.
Ulrike, die gemeinsam mit Britta vor geraumer Zeit einen
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