Die Ängstlichen - Roman
Ben.
»Ach, ich hätte längst mal nach dem Tier sehen müssen«, sagte die Frau und machte ein bekümmertes Gesicht, »aber Sie wissen ja, wie das ist. Dauernd ist was anderes. Und dann ist es auch schon wieder Abend. Gerade vorhin habe ich zu meinem Mann gesagt, nee, so ein Tier käme mir nie ins Haus. Na, dann will ich mal.«
»Aber das kann ich doch machen«, sagte Ben und stellte sich der Frau diskret in den Weg.
»Ach nein, lieber nicht«, sagte sie zögerlich, »FräuleinMünch hat mich ausdrücklich gebeten, in ihrer Abwesenheit niemanden in ihre Wohnung zu lassen.«
»Glauben Sie mir, Iris hätte ganz bestimmt nichts dagegen, wenn sie wüsste, dass ich mich um Homer kümmere.«
»Also ich weiß nicht«, sagte die Frau und spielte unentschlossen mit dem Schlüssel in ihrer Hand.
»Ich mache das gern«, sagte Ben, der sich bereits in Gedanken wie ein Einbrecher in einer fremden Wohnung durch die dunklen Zimmer gehen sah, »das Tier kennt mich.«
Schließlich gab sich die Frau einen Ruck und sagte: »Na also, wie Sie meinen. Aber unter der Bedingung, dass Sie mich nicht verpetzen, ich meine wegen dem Hasen. Ich habe Ihrer Freundin zwar versprochen, nach dem Tier zu sehen. Doch ehrlich gesagt, hab ich es nicht so mit dem Viehzeug. Alleine schon der Gestank.« Sie rümpfte die Nase. »Aber wenn Sie gehen, bringen Sie mir den Schlüssel umgehend zurück!«
»Das mache ich«, sagte Ben und streckte die Hand aus. Die Frau wandte sich ab, stieg zügig hinauf in ihre Wohnung, während Ben aufschloss und Licht machte.
Sofort schlug ihm ein strenger Uringeruch entgegen, der den leichten Heuduft, der gewöhnlich in den Räumen hing, überdeckte. Auf dem Flurboden lagen massenweise kaffeebohnengroße dunkelbraune Kotbällchen.
Ben schob die Wohnungstür hinter sich zu und lief, zwischen den Häufchen hin und her balancierend, ins Wohnzimmer. Dort herrschte ein noch größeres Durcheinander. Auf dem ebenfalls mit Kot übersäten hellbraunen Teppich lagen, im Umkreis von einem halben Meter verstreut, die Federn aus Iris’ zerfetzter meerblauer Armani-Daunenweste, die sie offenbar auf dem Sessel liegen gelassen hatte. Anscheinend war der Hase aus seinem Käfig entwichen (die Nachbarin hatte bei ihrem letzten Besuch das Türchen nicht richtig verschlossen)und hatte nicht nur die Jacke zernagt, sondern sich auch noch über die neben der Couch gestapelten Zeitungen hergemacht. Die Fensterscheiben waren schwarze Spiegel, und überall lagen kleinere und größere Papierfetzen. Doch wo war der Rammler überhaupt?
Ben lief hinüber ins Badezimmer und machte Licht. Der Käfig stand offen, doch von Homer keine Spur. Ben sah im Schlafzimmer nach, dessen Tür leicht offen stand, schaltete auch dort das Licht ein und fand, was er suchte.
Homer, ein pechschwarzer Bock, saß auf dem Bett und blickte ihn aus seinen ebenfalls pechschwarzen Knopfaugen interessiert an. Seine wie Antennen abstehenden Barthaare vibrierten lautlos.
»Na warte«, sagte Ben, packte das Langohr, das keinerlei Anstalten machte, sich ihm zu widersetzen, entschlossen im Genick und am Bauch und trug es zurück in seinen Käfig. Und nachdem er dem Hasen Heu, Kaninchenmischfutter und frisches Wasser gegeben, all die Kotbällchen zusammengefegt, die Federn im Wohnzimmer aufgesaugt und die Urinlachen auf dem Badezimmerboden und im Flur beseitigt hatte, lief er in die Küche, zog begierig die Kühlschranktür auf und ließ seinen Blick lange unentschlossen über dessen Inhalt gleiten. Dabei dachte er: Womit beginnen? Sollte er sich zuerst ein Ehrmann-Früchtetraumjoghurt (wie er es so gerne aß) genehmigen und später etwas von den in Dillsauce eingelegten Nordsee-Krabben? Oder doch lieber umgekehrt? Zuerst die Krabben und danach etwas Süßes? Außerdem gab es Lachsschinken, Leberpastete, Oliven und ein Stück in Frischhaltefolie eingewickelten Parmesankäse.
Ben entschied sich für die Krabben und die Leberpastete (die Hähnchenschenkel würde er später essen), nahm das Knäckebrot, das sich im Schrank neben der Spüle befand, heraus,griff sich eine Gabel und ein Messer aus der Besteckschublade, öffnete eine Flasche Beck’s und setzte sich vor dem Kühlschrank auf den Boden.
Während er aß, erklang aus dem Bad manchmal das kurze, metallische Scheppern, das entstand, wenn Homer in seinem Käfig einen Haken schlug oder beim Männchenmachen mit seinen Pfoten gegen die Gitterstäbe kam.
Nachdem er das Bier geleert und einen kräftigen Rülpser
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