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Die Ängstlichen - Roman

Die Ängstlichen - Roman

Titel: Die Ängstlichen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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verringerte und auch sein Puls sich auf das gesunde Gleichmaß von achtzig Schlägen in der Minute einpendelte und wie beides eine leichte Schläfrigkeit erzeugte, je länger er in der Dunkelheit gegen die Wand gelehnt dasaß, den kohlartigen Geruch einatmete, der hier herrschte, und vor sich hin starrte. Und er hätte, sofern ihn jemand danach gefragt hätte, wohl nicht einleuchtend erklären können, was er mit seinem reglosen Dasitzen in der Dunkelheit bezweckte. Er hätte sagen können, dass er auf seine Freundin wartete, die in Kürze nach Hause käme. (Auch wenn sein Ausharren in Wahrheit nichts anderes ausdrückte als seinen Wunsch, Iris nahe zu sein, ihren Sachen, Büchern und Kleidern, ihren Möbeln und all den Unterlagen und Verträgen und Papieren, die sie in dem in falsches Krokoleder gebundenen Ordner im Wohnzimmerschrank aufbewahrte.) Schließlich war sie immer noch seine Freundin und konnte tatsächlich jeden Moment hereinkommen, ihn überrascht begrüßen und in die Arme schließen. Das allein schien ihm bereits Berechtigung genug für sein Verhalten.
    Plötzlich hörte er, wie unten im Erdgeschoss die Haustür aufging; mit einem kurzen trockenen Klacken sprang das Treppenhauslicht an. Ein Kribbeln erfasste seine Kopfhaut, setzte sich von dort aus in seinen Nacken fort und wurde schließlich zu einer Gänsehaut auf seinem Rücken. Doch bereits im nächsten Moment erklangen das kurze rhythmische Hecheln des atemlosen Terriers sowie die Stimme seines Besitzers, und Ben lehnte sich enttäuscht zurück. Es folgte dasPoltern der schweren, sich offenbar mühsam heraufkämpfenden Schritte des Alten, begleitet vom haltsuchenden Schnarren und Abrutschen der Krallen des Hundes auf den glatten Steinstufen. Zuletzt das mechanische Sichdrehen des Schlüssels dicht unter ihm.
    Ben wartete darauf, dass endlich das Licht erlosch und er wieder in jenes behagliche Halbdunkel zurücksinken konnte, das ihn die ganze Zeit umfangen hatte. Das Doppelsternsystem Epsilon/Aurigae, das größte bekannte seiner Art im Universum, blinkte zwischen zwei sekundenlang auseinanderdriftenden dichten Wolkenbänken in der klaren kühlen Nachtluft und schickte aus unvorstellbarer Entfernung seinen irisierenden Abglanz durch die Atmosphäre und das Treppenhausfenster zu ihm herein, produzierte sekundenlang die Illusion, draußen, wo es zu tröpfeln begonnen hatte, regne es Daunen. Und auf einmal hatte Ben das beglückende Gefühl, Zeit zu haben – Zeit, die wie die granatrot fluoreszierenden Ziffern der Herduhr in Iris’ Küche weitersprang. Zeit, die hinter dem der Form eines Eichenblatts nachempfundenen schmiedeeisernen Zifferblatt in Helmuts dunkler Wohnzimmeruhr tickte – malerisch wie ein Herbstpostkartenmotiv –, Zeit, die dahinstrich wie der Atem über Johannas trockene, im Schlaf leicht geöffnete Lippen, drüben, in der Ankergasse, wo bereits sämtliche Lichter gelöscht waren und Epsilon/Aurigaes stellarer Nebel die mächtigen Kronen der beiden Kastanien in einen hellen künstlichen Glast hüllte.
    Ben suchte noch immer vergeblich nach der bequemen Position, die er eingenommen hatte, bis das Licht angesprungen war, und hörte, wie im Stockwerk über ihm eine Tür aufging und sich wieder schloss und jemand, untermalt vom kurzen Patschen lederner Hausschuhsohlen auf Stein, die Treppe herunterkam.
    »Sie? Was machen Sie denn da auf dem Boden?«, sagte die Frau, eine vielleicht fünfzig Jahre alte Person mit halblangen, kraftlos herabhängenden braunen Haaren und zwei kleinen forschenden Augen, die ihn irritiert ansahen. Sie blieb am Treppenabsatz stehen und hielt dabei gut sichtbar einen Schlüssel in der Hand, Iris’ Zweitschlüssel. Ben war der Frau ein paarmal im Treppenhaus begegnet, hatte sie flüchtig gegrüßt, aber sonst nicht weiter beachtet.
    »Ich warte auf meine Freundin Iris, Frau Münch, um genau zu sein«, antwortete Ben und erhob sich.
    »Da können Sie lange warten«, sagte die Frau triumphierend und machte Anstalten, sich ungeschickt an ihm vorbeizumanövrieren, um in Iris’ Wohnung zu gelangen.
    »Was meinen Sie damit?«, ließ Ben nicht locker. »Ist sie weg? Ich habe x-mal angerufen.«
    »Sie ist in Hamburg!«
    »In Hamburg?« Ben verstand nicht.
    »Ja, bei ihrem Bruder, bis morgen.«
    »Ich wusste gar nicht, dass Iris einen Bruder hat.«
    »Macht irgendwas mit Computer, glaub ich. Lebt wohl in Eppendorf, oder wie das heißt.«
    »Und Iris hat Sie gebeten, nach Homer zu sehen, stimmt’s«, sagte

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