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Die Ängstlichen - Roman

Die Ängstlichen - Roman

Titel: Die Ängstlichen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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stand. Irgendwann aber hatte er sich zum Trost gesagt, dass diese Zugfahrt womöglich die Hölle geworden wäre und dass er von Glück sagen konnte, nicht eingestiegen zu sein. Trotzdem sah er sich immer wieder in diesem anderen Leben herumgehen wie in einer leeren, viel zu großen Wohnung, linkisch und fremd, sah sich verkrampft lächeln und hörte sich reden, wie man in der Vorstellung einen Zwillingsbruder, den man nie gehabt hatte, lächeln sah und reden hörte.
    In den ersten Tagen nach seiner Verlegung hatte Konrad fast ununterbrochen geschlafen und sich in seinen Phantasien zu dem immer gleichen Ziel Ankergasse durch abscheuliche, unwirtliche und nicht enden wollende Traumlandschaften vorgearbeitet, hatte sich abgekämpft und im Schlaf geschrien. In den kurzen, in der Regel nur wenige Minuten andauernden Momenten der Klarheit aber, zwischen langen Phasen schwerster medikamentöser Betäubung, wenn er schweißgebadet und mit schweren Gliedern erwachte und sich orientierungslos aufrappelte, irrte er, vorbei an Gestalten mit fremdartig verzerrten Gesichtern und weit aufgerissenen Mäulern, die animalische Laute von sich gaben und ihn anstarrten, durch scheinbar endlos lange, von flackernden Leuchtstoffröhren erhellte Gänge, in denen es entsetzlich stank.
    »Etwas, woran man sich festhalten kann!«, hatte Riginald Gold auf seine Frage, was dieser seltsam geformte hölzerne Kasten, der immerzu dieses eintönige Geräusch von sich gab, sei, gläubig geantwortet und war liebevoll mit dem Zeigefingerüber das Metronom gefahren. Das Einzige, woran Konrad sich im Moment festhalten konnte, waren sein Bettpfosten und der Gedanke, in Kürze abzuhauen.
     
    A pathisch blickte Helmut auf den wässrig roten, rasch zerfasernden handtellergroßen Klecks in der Toilettenschüssel, der, das meldete ihm sein alarmiertes Großhirn in Lichtgeschwindigkeit, nichts Gutes verhieß: Wie es aussah, war die Ampel seines Lebens vorzeitig von Gelb auf Rot umgesprungen. Dann aber hob er grimmig das eben noch entspannt auf der Brust liegende Kinn, kniff irritiert die Lider zusammen und sog, wie um dadurch Zeit zu gewinnen, langsam und geräuschvoll Luft durch die Nase ein. In beiden Unterarmen registrierte er nun ein Kribbeln, so als bohrten sich Hunderte winziger Stecknadeln im Abstand von Millisekunden in sein Fleisch (wo, zum Teufel, hatte er nur das Nasenspray hingestellt?). Helmut spürte, dass ihn auf der Stelle nach einer Serie kurzer, heftiger Stöße der Sprühlösung in sein linkes, seit kurzem wie zubetoniertes Nasenloch verlangte.
    Wenn man seinem Schicksal begegnet, sollte man keine Eile haben, dachte er. Doch woher kam dieser Gedanke? Sein Gehirn, dieses große, unerforschliche Etwas, hatte diese Worte offenbar selbständig zusammengefügt, ohne sein Mitwirken.
    Er schloss seine Augen und presste die Lider so fest zusammen, dass sich infolge des erhöhten Drucks auf die Pupillen psychedelische Farbmuster aus der Schwärze herausbildeten, wirre Kreise, Rechtecke und Karos, die im nächsten Moment wie ein am Nachthimmel zerberstender Feuerwerkskörper in Milliarden gleißend helle Punkte zerfielen.
    Aus Furcht, er könne das Gleichgewicht verlieren, schlugHelmut die Augen wieder auf und begutachtete zunächst teilnahmslos die Bescherung: In seinem Urin befand sich Blut und dies in einem Quantum, das man fraglos als beunruhigend bezeichnen durfte.
    Er holte tief Luft, und während Johanna in diesem Moment in der Ankergasse am eingeschalteten Gasherd in ihrer Küche stand und durch die verschmierten Gläser ihrer Brille hindurch interessiert beobachtete, wie sich die gefrorenen streichholzschachtelgroßen Spinatblöcke unter der geballten Hitzekraft nach und nach in einen matschigen, metallisch riechenden Brei verwandelten, der Blasen zu schlagen und gegen die blitzenden Topfwände zu spritzen begann, zog Helmut irritiert den Zippverschluss seiner Stonewashed Edwin-Jeans hoch und drückte so lange wieder und wieder die Spülung, bis in den hellen Wasserstrudeln nicht ein roter Farbspritzer mehr zu erkennen war.
    In seinem Hypothalamus herrschte inzwischen ein Betrieb wie in einem überlasteten Telegrafenamt einer mittelgroßen Balkanstadt Ende der siebziger Jahre. Gehirnzellenmeldungen trafen ein und gingen ab in Richtung Hypophyse, was direkte Auswirkungen auf Helmuts Hormonausschüttung, seine Herztätigkeit und die Kontrolle seiner Magensaftsekretion hatte: Ein leichtes Schwindelgefühl begleitete ihn auf dem Weg ins

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