Die Ängstlichen - Roman
Diamanten glitzernden Regentropfen in ihrem Netz saß, zu einer Reaktion zu provozieren. Das gelbe Kreuz auf ihrem prallen Hinterleib war trotz des blendenden Gegenlichts deutlich zu erkennen. Ebenso die scharfen Mundwerkzeuge, winzige kräftige Zangen, mit denen sie ihre Opfer zerlegte und verspeiste.
Durch den vergitterten Schacht im Gemäuer drang ein Windstoß herein, und das Netz begann zu schaukeln, zu zittern und zu flattern wie ein hochkant in die Luft gespanntes Trampolin. Konrad glaubte, jeden Moment müsse die Spinne ihren Halt verlieren und herausfallen. Doch diesen Gefallen tat sie ihm nicht. Er richtete seinen Blick zum Himmel, von dem von seinem Platz aus nicht mehr als ein zerschnittenes hellblaues Quadrat zu sehen war. Im selben Moment hörte er, wie Kubik mit dem Schläger in der erhobenen Hand die Steinstufen herunterkam, jeder Schritt ein lautes plumpes Klatschen, und rief: »Los geht’s!«
Kubik, dieser kleinwüchsige Epileptiker, dessen für seinen kahl rasierten, mit rötlichem Schorf übersäten Schädel viel zu große Ohren wie Henkel abstanden, war ganz und gar kein Gegner für ihn. Doch er setzte Konrad jedes Mal so lange zu, bis der irgendwann nachgab, widerwillig seinen Schläger aus dem Schrank nahm und sagte: »Okay, Kubik, um eine Schachtel HB. Ein Spiel! Hast doch sowieso keine Chance!«
»Nein, zwei!«, rief Kubik mit seiner Kastratenstimme.
»Eins!«
»Nein, zwei!«
»Also verflucht noch mal zwei«, gab Konrad nach und versetzte aus Verärgerung darüber, dass er sich wieder hatte breitschlagen lassen, dem Spinnennetz in der Vorwärtsbewegung einen solch heftigen, ungestümen Stoß, dass es kurz zurückfederte, wieder hervorschnellte und dabei die Spinne in hohem Bogen herausschleuderte und zu Boden warf.
»Mistvieh!«, zischte er, trat darauf und glaubte, was natürlich eine Einbildung war, sekundenlang zu hören, wie der Chitinkörper unter seinen 90 Kilogramm zerbarst.
»Na los, du Anfänger!«, rief er, zog die elfenbeinfarbene Celluloidkugel aus der Tasche seiner Strickjacke und hielt siegut sichtbar in die Höhe. Dann nahm er seinen Schläger, der vor ihm auf der verwitterten, grün gestrichenen Holzplatte lag, in die Hand, ging leicht in die Knie und gab an.
Der scharf angeschnittene Ball setzte beinahe lautlos auf, sprang mit mächtigem Spin über das verschlissene Netz, zog unwiderstehlich von rechts außen eine genau gezirkelte ellipsenförmige Bahn nach ganz links außen, tippte einmal auf und schoss, an Kubiks sinnlos durch die Luft wirbelndem Schlägerkopf vorbei, unberührt ins Leere.
»1:0«, rief Konrad gelangweilt. Die verschwenderische Demonstration seines Könnens gegenüber einem wie Kubik, der den Ausdruck »Gegner« überhaupt nicht verdiente, behagte ihm nicht im Geringsten. Perlen vor die Säue, dachte Konrad und drehte den Schläger ein paarmal nervös in seiner Hand. Pflichtschuldig hob Kubik den Ball auf und hielt ihn Konrad hin.
»Na los!«, rief Kubik, als er wieder auf seiner Seite hinter der Platte stand und gespannt Konrads neuerliches Anspiel erwartete. Der ging in die Knie, beförderte den Ball diesmal elegant die Außenlinie entlang und erwischte seinen Gegner, der offensichtlich abermals mit einem diagonalen Anspiel gerechnet hatte, auf dem falschen Fuß.
»2:0«, murmelte Konrad, ohne Kubik anzusehen.
»Ich gewinne!«, rief der herüber.
»Das hättest du wohl gerne!«, erwiderte Konrad.
Erneut zirkelte er die Kugel entlang der rechten, nur noch schemenhaft zu erkennenden weißen Außenlinie übers Netz. Doch zu seiner Überraschung gelang es Kubik diesmal, den Ball im Vorwärtsstürmen zu erreichen. Mehr noch: Er traf ihn so ungeschickt mit dem Rand seines Schlägers, dass er gegen die Netzkante flog, kurz daran hängen blieb, in Konrads Feld fiel und, ohne dass der ihn noch erreichen konnte, seitlich von der Platte absprang und ins Aus glitt.
»2:1«, rief Kubik lauthals und riss seinen Schläger triumphierend in die Höhe. »Na also!«
»Suffkopp!«, höhnte Konrad und hob schnaufend den vor seinen Füßen liegenden Ball auf. Leicht wie eine Taubenfeder lag die Kugel in seiner zur Kuhle geformten linken Hand. Und einen Moment lang verspürte er den Drang, ihn zu zerdrücken. Denn genau betrachtet war es doch immer das Gleiche: Die Gesichter seiner Gegner wechselten, doch die Miene blieb stets die des Verlierers. Das alles langweilte ihn unendlich.
Bei jedem Schlag spürte Konrad die kleinen Schnittwunden an den Innenseiten
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