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Die Ängstlichen - Roman

Die Ängstlichen - Roman

Titel: Die Ängstlichen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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oder in billigen Absteigen aufgegriffen, um ihn nach Heppenheim zurückzubringen. (Doch inzwischen, so glaubte sie jedenfalls, war sein ausbrecherischer Zug wohl erlahmt.)
    Die letzte Flucht lag mehr als zwei Jahre zurück und hatte an der Autobahnauffahrt Heppenheim-Süd geendet, wo ihn ein zufällig vorbeifahrender Mitarbeiter der Anstaltsleitung aufgriff. Wie es schien, hatte Konrad aufgegeben. Was die anderen anbelangte, so hatte Ben inzwischen sein Auskommen und Helmut sowieso. Ulrike war, so Johannas Annahme, materiell durch Rainer abgesichert, und Janek bezog immerhin eine kleine Rente. Dass er spielte, war seine Sache, solange es nicht ihr Geld war, das er zum Fenster hinauswarf. So gesehen, stürzte sie niemanden ins Unglück, wenn sie vorzeitig abtrat und verschwand. Und je länger sie darüber nachdachte, desto verlockender erschien ihr die Vorstellung, die anderen mit ihrer Umsiedlung sich selbst zu überlassen: Janek seinerSpielsucht, die ihn eines Tages Kopf und Kragen kosten würde, Helmut seiner bornierten Rechthaberei, die früher oder später einen von aller Welt verlassenen Zyniker aus ihm machen würde, und zu guter Letzt Ulrike und Rainer ihren Kindern, die ihnen irgendwann die Quittung dafür präsentieren würden, dass sie sie zu lebensuntüchtigen kleinen Monstern gemacht hatten.
    Ein kurzes Leuchten huschte über Johannas Züge. Doch schon auf Höhe der Pumpstation, wo der Bus anhielt, klappernd seine Türen öffnete und sie in die kühle Nacht entließ, hatte sich ihre Schadenfreude wieder in Sorge gewandelt. Nein, vielleicht war ihr Plan doch keine so gute Idee. Und während sie in die Mittelstraße einbog und mit Blick zum Himmel, der wie eine gebogene, verkehrt herum fotografierte, schwarz asphaltierte Landstraße über ihr hing, der Ankergasse zustrebte, sah sie zahllose, in großer Entfernung funkelnde Sterne, eisblau und kalt und Lichtjahre entfernt. Doch vom Allmächtigen keine Spur.
     
    J aneks Augen standen offen, weit offen, aber er sah weder die schmutzige Wand noch den davor stehenden verschrammten Stuhl. Er umklammerte das Telefon so fest, dass die Knöchel seiner Finger weiß hervortraten, und konnte den verdammten Gaul ganz deutlich vor sich sehen, konnte seinen heißen, stinkenden Atem riechen, fühlte, wie sich der Dampf aus seinen Nüstern über seine Augäpfel legte, hörte das unter dem Tribünendach widerhallende Brüllen der aufgebrachten Menge und das Dröhnen der Hufe auf dem trockenen Geläuf. Er spürte, wie sich auf seinen Oberarmen eine Gänsehaut bildete, denn das war seine Welt gewesen und würde immer seineWelt sein. Das reine Hochgefühl, auf das richtige Pferd gesetzt zu haben, und der Triumph, hinterher groß abzukassieren.
    Doch nun so etwas, ein lautloser Donnerschlag, der die Gänsehaut auf seinen Armen im Nu wegfegte.
    »Zweiter!«, hatte die Stimme am Telefon gesagt, nur dieses eine Wort, »Zweiter!«, und wie verabredetet aufgelegt. Janek ließ es sich voller Lust auf der Zunge zergehen. Der verdammte Gaul war Zweiter geworden, was schlimmer war als Letzter, ein absoluter Witz. Und er hatte alles auf Sieg gesetzt, natürlich, bei einer solchen Quote.
    Er starrte an die Wand und schüttelte ungläubig den Kopf. Obi Wan Kenobi, einundzwanzigfacher Sieger des Mariendorfer Adbell-Toddington-Rennens beim Breeders-Crown-Meeting in Berlin, war bislang eine sichere Bank gewesen: einundzwanzig Starts in Berlin, einundzwanzig Siege. Ein englischer Vollblüter, ein absolutes Klassepferd. Und nun das: Scheißzweiter. Unglaublich!
    Schlachten sollte man den Versager, dachte Janek und trat nach dem Stuhl, der gegen die Wand flog und kollernd zu Boden ging.
    Dabei hätte es ein Wochenende der Superlative werden können. Zwei Derbysieger waren in Berlin am Start. Im fünften Rennen lief Royal Dragon unter Michael Schmid, im siebten Gamble Furniture unter Peter Kwiet und im neunten Le Hannover unter Peter Heitmann, allesamt gute Bekannte, mit denen Janek verschiedentlich nicht unerhebliche Summen gewonnen hatte.
    Was ihm blieb, war das achte Rennen mit Euro Coin November unter Konrad Schuster und Norko abermals unter Michael Schmid. Doch mehr als ein Trostpflaster war sowieso nicht mehr drin. Das Adrenalin, das eben noch durch das System seines Körpers gerast und kurz davor gewesen war, einen Flächenbranddarin zu entfachen, versickerte in ihm wie Abwasser in irgendwelchen dunklen Kanälen. Er legte den Hörer auf und fuhr sich mit der Hand ein paarmal durch das

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