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Die äußerst seltsame Familie Battersby (German Edition)

Die äußerst seltsame Familie Battersby (German Edition)

Titel: Die äußerst seltsame Familie Battersby (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E. Archer
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neues schwarzes Kabel geschlungen, das noch nicht auseinandergerollt war. Es war ein heilloses Durcheinander, das von der Optik her irgendwie an einen U-Bahn-Plan erinnerte. Ralph würde das Chaos schon entwirren. Nur war ausgerechnet das wichtigste schwarze Kabel unter einem Bein der Vitrine eingeklemmt. Ralph strengte sich an und schaffte es, das schwere Möbel ein bisschen anzuheben. In den Fächern gerieten dabei einige kleine Porzellanhirten ins Rutschen.
    Als Ralph den Kabelsalat aufgedröselt hatte, hörte er plötzlich von irgendwoher ein Schluchzen. Wie erstarrt spitzte er die Ohren. Das Schluchzen jedoch wiederholte sich nicht. Als er einige Minuten später den Router ans Stromnetz anschließen wollte, hörte er abermals ein Wehklagen. Er legte das Gerät aus der Hand und ging dem Geräusch nach.
    Vor dem Beatrice-Flügel blieb er stehen und starrte in den Korridor. An den Wänden in Schwarz und Rot sah er blattförmige Eisenbeschläge.
    »Hallo?«, rief er, aber eine Antwort blieb aus.
    Vorsichtig ging Ralph weiter. Seine Schritte hallten vom nackten Steinboden wider. In diesem Korridor waren alle Türen aus Massivholz, mit viel Patina, die dunklen Metallbeschläge staubbedeckt. Das Schluchzen und Wimmern, das immer deutlicher wurde, aber nicht mehr ganz so hysterisch klang, kam aus einem der oberen Stockwerke.
    Ralph erklomm eine knarrende Wendeltreppe, die in einen nahezu identischen Korridor mündete, und schlich weiter. Trotz gleicher Gestaltung wirkte dieser Korridor nicht so finster. Die Sonne, die jetzt durch die Fenster schien, warf helle Lichttrapeze auf den Boden. Alles war weniger verstaubt, ein paar Türen standen offen. Selbst das Schluchzen klang nicht mehr so bedrückend. Es wirkte eher wie eine seltsame Mischung aus Trauer und Freude.
    Am Ende des Korridors gelangte Ralph zu einer kleinen Galerie mit einer einzelnen Tür. Sie war nur angelehnt. Als Ralph sie öffnete, schlug ihm nach der kühlen, klimatisierten Luft der Innenräume die feuchte Wärme des Abends entgegen. Beatrice stand allein, an eine Regenwasserzisterne gelehnt, im Freien und nestelte mit ihren dünnen Fingern an einem Stück Stoff.
    »’tschuldigung«, sagte Ralph, »aber du warst nicht zu überhören.«
    Beatrice hustete und schwieg. Doch dann platzte es aus ihr heraus: »Oh, Gott!« Sie rieb sich die geröteten Augen. »Es ist mir so peinlich!«
    »Hör auf! Sich dafür zu schämen ist echt Unsinn!«
    »Der Tag war ziemlich heftig. Das kannst du bestimmt verstehen.«
    »Ja. Es war sicher schrecklich für dich.«
    Beatrice seufzte und legte die Fingerspitzen aneinander. »Ich wette, du weißt gar nicht, was passiert ist. Keiner hat sich getraut, ein Wort darüber zu verlieren, seit wir wieder zu Hause sind.«
    Ralph holte tief Luft. »Ich habe mitbekommen, dass deine leibliche Mutter gestorben ist.«
    »Eigentlich ist sie schon seit einer Weile tot. Gertie hat sich mit der Beerdigung nur ziemlich viel Zeit gelassen. Meine Mum hat ungefähr ein halbes Jahr im Koma gelegen. Wir wussten alle, wie das enden würde.« Beatrice sah ihn traurig an.
    »Stört’s dich, wenn ich zu dir rüberkomme?«
    Sie schien überrascht. »Nein, mach nur.«
    Ralph lehnte sich neben sie an die Wand der Zisterne. Sie betrachteten den Sonnenuntergang. »Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie es ist, einen Elternteil zu verlieren«, sagte er.
    »Ich möchte wetten, du weißt es doch. Wahrscheinlich hättest du nämlich ganz ähnliche Gefühle wie ich. Bei mir ist es so, dass ich es mir auch nicht vorstellen kann, obwohl es gerade passiert ist.«
    »Oh.«
    »Sag mal, wo sind deine Eltern eigentlich?«
    »In New Jersey. Sie reden nicht mit dem britischen Zweig der Familie. Hat wohl irgendwas mit Wünschen zu tun.«
    »Komisch.« Beatrice zuckte die Achseln. »Weißt du, es kommt mir so vor, als wären meine Gefühle nicht so stark, wie sie sein sollten. Es ist wirklich komisch. Ich habe meine Mum verloren. Und ich bin auch voll traurig drüber. Aber gleichzeitig frage ich mich, was es heute zum Abendessen gibt. Wie kann es sein, dass ich daran auch nur einen Gedanken verschwende?«
    Ralph fragte sich ebenfalls, was es wohl zum Abendessen geben würde.
    »Sie hieß Annabelle«, fuhr Beatrice fort, als das Rosa des Sonnenuntergangs allmählich in ein tiefes Violett überging. »Der Name passt für jemanden, der stirbt, findest du nicht auch?«
    Ralph runzelte die Stirn.
    »Ich habe sie eigentlich gar nicht richtig gekannt«, fügte Beatrice hinzu.

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