Die äußerst seltsame Familie Battersby (German Edition)
»Als mein Vater sich von ihr hat scheiden lassen, war ich noch klein. Im Grunde genommen ist Gertie meine Mutter. Aber das ändert nichts an der Tatsache, dass Annabelle jetzt tot ist. Irgendwie ist das … merkwürdig.«
»Deinen Geschwistern scheint es nichts auszumachen«, bemerkte Ralph.
»Sie kannten Annabelle ja auch kaum. Wobei das bei mir ja genauso ist. Vater hat Annabelle auf dem College kennengelernt. Sie hat mich dann wohl eine Weile mit ihm allein gelassen, weil sie nicht damit klarkam, mit Anfang zwanzig schon ein Kind zu haben. Und dann hat Vater Gertie geheiratet. Meine leibliche Mutter haben wir lange nicht gesehen. Ich habe alle paar Monate oder so mal mit ihr gesprochen. Jedes Mal war’s komisch, als ob wir meilenweit weg voneinander wären. Und dann immer so tun, als wäre alles in Ordnung …! Schließlich ist sie ins Koma gefallen und gestorben. Sag mal: Warum bist du eigentlich hier?«
»Wart mal kurz, nicht so schnell«, warf Ralph ein. Beatrice konnte einen mit ihren Vertraulichkeiten ganz schön überrumpeln. Vielleicht war sie deshalb so still. Es war bestimmt anstrengend, jedem seine verletzliche Seite zu zeigen.
Sie sah ihn unverwandt an. »Was ist? Glaubst du mir nicht?«
»Doch, doch, natürlich. Aber ich habe noch nicht alles verdaut, was du gesagt hast. Keine Sorge, ich mach nicht gleich einen Lügendetektortest!«
»Lügendetektor? Du bist wirklich ganz schön schräg. Hör zu, ich muss mich fürs Dinner fertig machen. Gertie führt sich immer wie eine Furie auf, wenn jemand zu spät kommt. Wir sehen uns dann unten.«
»Daphne hat mir erzählt, es hätten sich Wachleute ums Schloss postiert.«
Beatrice warf ihm einen durchdringenden Blick zu. »Ach ja?«
»Ja. Sie wollte mir diese Leute zeigen, aber ich war nicht groß genug. Hast du eine Ahnung, warum sie sich Geschichten über Sicherheitsleute ausdenkt?«
Beatrice holte tief Luft. »Am besten reden wir gar nicht darüber. Sie fängt immer wieder damit an, Mum hätte angeblich solche Leute engagiert. Daphne schwärmt für alles Geheimnisvolle und Fantastische. Uns spioniert sie wahrscheinlich auch gerade hinterher. Sie findet das spannend.«
»Dann hat sie das also wirklich alles frei erfunden?«
»Wen kümmert’s?«, fragte Beatrice zurück, löste sich von der Zisternenwand und rieb sich den Schmutz von den Händen. »Wenn es Wachen gibt, werden die wohl ihre Arbeit erledigen. Und wenn nicht, dann brauchen wir auch keine.«
8. Kapitel
Ralph kehrte zu seinen Kabeln zurück. Während er das gelbe von den anderen trennte, ließ ihn wieder ein Geräusch aufhorchen: Da war doch schon wieder ein Schluchzen, ein leiser Laut tiefsten Kummers. Es war kaum zu hören, klang aber, als käme es aus nächster Nähe. Als Ralph sich langsam umdrehte, war jedoch niemand zu sehen. Das Weinen schien direkt aus der Vitrine zu kommen.
Er bewegte sich auf die Quelle des Geräuschs zu und entdeckte dann auch die Verursacherin: Eine der Hirtinnen aus Porzellan weinte. Von Schweinchen und Zeitungsjungen umringt, gerade mal fünf Zentimeter groß, stützte sie sich auf ihren Hirtenstock und weinte so bitterlich, dass ihr ganzer Körper zitterte.
»Was ist los?«, fragte Ralph. Die sehr viel naheliegenderen Fragen fielen ihm komischerweise erst später ein.
Sie rieb sich mit dem Ärmel über die rot lackierten Lippen und setzte sich mitten im Porzellangedränge auf den Boden. »Ich habe meine Entenküken verloren«, schluchzte sie.
Ralph schob einen Porzellankönig zur Seite, um sie besser sehen zu können. »Wo sind sie denn?«, fragte er – wieder unter Auslassung gleich einer ganzen Reihe von weitaus drängenderen Fragen. Aber irgendwie schien es ihm unhöflich, die Existenz einer Person, die ganz offensichtlich mit ihm redete, infrage zu stellen, auch wenn sie nur ein paar Zentimeter groß war. Ob das bei Dekofiguren hier in England normal war? Möglich war alles.
Die Hirtin zeigte mit ihrem Stock auf Ralph. » Deinetwegen bin ich von ihnen weggerutscht. Als du die Vitrine angehoben hast. Sie sind dahinten, auf der anderen Seite. Aber ich kann sie nicht holen, weil ich nicht von meinem Podest runterkomme.«
»Ist ja schon gut«, beschwichtigte Ralph sie. Er sah sich um, um sicher zu sein, dass er allein war. Dann nahm er den kleinen Sockel der Hirtin vorsichtig zwischen Daumen und Zeigefinger.
»Was machst du denn da?«, kreischte sie.
»Ich dachte …«
»Du dachtest, ich wollte wieder bei denen sein? Ich hocke seit
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