Die äußerst seltsame Familie Battersby (German Edition)
über fünfzig Jahren neben diesen stocksteifen Viechern!«
»Oh!«
»Sie sind schrecklich langweilig. Meinst du, es ist schön, sich ständig deren Gequake anhören zu müssen? Und die einzige körperliche Zuwendung, die man erfährt, ist das wöchentliche Abstauben! Denkst du, ich will, dass alles wieder so wird wie vorher?«
»Ähm, tja … ich glaube … ich habe gar nichts gedacht«, gestand Ralph fassungslos.
Die Hirtin betastete ihre Schürzentaschen, als würde sie etwas suchen. Ihre Bewegungen wurden schleppender.
»Weißt du eigentlich, dass du eine sprechende Dekofigur bist?«
»Willst du meine letzten lebendigen Sekunden mit blöden Fragen vergeuden?«
»Warum Sekunden?«
»Hör zu, wenn du mehr wissen willst, redest du am besten mit Chessie!«
»Wer ist Chessie?«
»Ist das dein Ernst? Deine Tante – Gerties und Marys Schwester!«
»Oh. Ist sie hier?«
»Wäre sie gern. Rede mit ihr! Bestimmt findest du sie ganz toll. Finden alle jungen Männer.«
»Wo kann ich sie finden?«, fragte Ralph. Aber da bewegte sich die Hirtin schon nicht mehr.
* * *
Als Beatrice aus ihrem Flügel des Schlosses kam, saß Ralph auf dem Boden und starrte wie versteinert auf ein Sofakissen. Sie fragte ihn, was los sei, und er stotterte irgendetwas von Jetlag, ehe er schnell das Thema auf Chessie lenkte. Er habe einen Diener ihren Namen sagen hören. Weitere Details verriet er nicht. Vielleicht bedeutete mit Porzellanhirtinnen zu reden ja doch, dass er verrückt war.
Beatrice schüttelte den Kopf. »Ah, ich glaube, ich verstehe. Dann ergeben Daphnes Geschichten von Wachleuten plötzlich sogar Sinn. Vielleicht hat Tante Chessie herausgefunden, wo wir sind.«
»Warte mal, du meinst doch nicht Chessie, die berühmte Herzogin von Cheshire?«
»Hast du von ihr gehört?«
»Natürlich, die ist doch voll berühmt! Sie macht in den Staaten Werbung für Gymnastik und Körperstyling. Bin ihr aber nie begegnet.«
»Das passt zu Chessie. Keiner von uns darf sie zu Gesicht bekommen. Ich dachte immer, Gerties Snobismus wäre der Grund. Aber jetzt glaube ich langsam, dass es dafür einen sehr viel konkreteren Grund gibt. Vor allem wenn Daphnes Geschichten über bewaffnete Sicherheitsleute der Wahrheit entsprechen. Ich wusste doch, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis sie uns findet! Komm mit!«
Ralph folgte Beatrice die Treppe hinunter zu ihrem Lieblingslauschplatz, einer Gartenbank direkt neben dem Fenster von Gerties und Gideons Arbeitszimmer. Dort konnte man, verschwommen hinter dem welligen Glas, die Personen sehen, die sich im Zimmer aufhielten. Weil der Mörtel zwischen den jahrhundertealten Steinen um den Fensterrahmen bereits zerfiel, drang auch einiges an Geräuschen nach draußen. Ralph und Beatrice erkannten die Silhouette von Gertie, die am Telefon einem Freund mit ihren rückläufigen Kapitalanlagen und ihren Problemen beim Finden eines neuen Verwalters in den Ohren lag.
»Manchmal sitze ich hier und höre mir an, wie idiotisch sie sich anderen Leuten gegenüber benimmt, und wenn sie mir dann blöd kommt, weiß ich, dass es nichts Persönliches gegen mich ist«, sagte Beatrice.
»Wie oft sitzt du denn hier?«, wollte Ralph wissen.
»Oh, ziemlich oft. Manchmal nehme ich ein Buch mit und verbringe den ganzen Nachmittag hier. Hier stört mich keiner.«
»Warum will deine Mutter eigentlich keinen Kontakt zu Chessie?«
»Das müsstest gerade du doch wissen! Aus demselben Grund haben deine Eltern dich wahrscheinlich in New Jersey unter Verschluss gehalten.«
Ralph schüttelte den Kopf.
»Chessie hatte einen Sohn. Und vor sieben Jahren war er plötzlich weg .«
»Weg?«
»Wir waren alle dabei, allerdings können wir uns kaum daran erinnern, weil wir noch so klein waren. Die haben zum sechzehnten Geburtstag von Chessies Sohn irgend so ein albernes Spiel gespielt. Chessie hat ihm einen Wunsch gewährt, und am nächsten Tag – Simsalabim! – war er plötzlich verschwunden. In den Zeitungen war von Entführung die Rede. Die Behörden haben international ermittelt. Aber das weißt du doch alles, oder?«
»Nein, davon weiß ich echt gar nichts.«
Anstatt nachzuhaken, hob Beatrice plötzlich den Zeigefinger. Sie beugte sich vor und lauschte angestrengt.
»… ich will, dass sie sich von meinen Kindern fernhält, hörst du?«, keifte Gertie ins Telefon. »Es ist mir egal , ob sie extra aus London gekommen ist … Warum gerade jetzt? … Nein, ich werde niemals einwilligen … Er ist verschwunden ,
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