Die äußerst seltsame Familie Battersby (German Edition)
oder?«
»Wahrscheinlich nicht«, erwiderte Ralph. »Bisher habe ich mir darüber allerdings noch nie Gedanken gemacht.«
»Erzählen Sie uns mehr über Amerika , Mr Ralph«!, sagte Beatrice und senkte dabei übertrieben vielsagend die Stimme.
»Bea! Wahrscheinlich ist gerade eben jemand erschossen worden, und du willst dich unterhalten!«, protestierte Daphne.
Cecil legte ihr die Hände auf die Schultern. »Ich bin mir sicher, dass niemand erschossen wurde, Daph. Na ja, vielleicht ein Vogel. Irgendwo.« Er zwinkerte. »Aber nur zur Sicherheit sollten wir dem mal nachgehen.«
»Ich suche hier und du da!«, sagte Daphne blitzschnell und zeigte aufs Geratewohl in zwei Richtungen.
»Meinetwegen. Kommst du mit?« Die Frage war an Ralph gerichtet.
»Oh, ich weiß nicht.« Er schielte auf die Kutsche und den Platz neben Beatrice.
»Du solltest mitgehen«, sagte Beatrice. »Mehr wirst du diesen Sommer an Abenteuer nicht erleben.«
»Wenn hier wirklich geschossen worden ist«, wandte Ralph ein, »meint ihr nicht, dass es dann unvernünftig ist, draußen herumzulaufen?«
»Was macht dich eigentlich so nervös?«, fragte Beatrice. »Wir sind hier auf dem Land – da wird immer mal irgendwo ein Fasan geschossen. Wenn hier gefährliche Leute unterwegs wären, hätten die Wachen sie längst erwischt. Sei nicht so ein Weichei!«
Also ging Ralph. Bald machte es ihm sogar Spaß, das in dämmriges Licht getauchte Gelände zu erkunden. Als er zwanzig Minuten später zurückkehrte, waren Cecil und Daphne längst wieder da und saßen untätig im Innenhof. Keiner hatte etwas gefunden, nicht einen einzigen Anhaltspunkt.
»Eine Kugel aus einem Jagdgewehr«, lautete Beatrice’ Fazit. »Also ein ganz natürlicher Tod. Nichts, worüber man sich Sorgen machen müsste.«
Über eine Woche lang konnte Ralph nichts in Erfahrung bringen. Weder über den Schuss, noch über die Sicherheitsleute oder die Beerdigung. Weniger als nichts erfuhr er darüber, warum die Battersby-Eltern diese Themen mieden wie die Pest. Den größten Teil seiner Zeit verbrachte er damit, mit der British Telecom zu telefonieren, auf deren Kundendienst zu warten oder mit einem Kabel in jeder Hand zu hoffen, er könne dem leidigen Verwirrspiel im Kabelkrieg ein Ende setzen. Wenn er sich nicht darum kümmerte, was er für seinen Job hielt, saß er mit Beatrice auf dem Dach und las. Oder er spielte mit Cecil (eher schlecht als recht) Squash oder brachte Daphne bei, mit ihrem Handy Videos zu drehen. Einmal fuhren Beatrice und er gemeinsam in die Stadt, um sich einen Film anzusehen (einen amerikanischen Blockbuster, dessen schnelle Schnitte und Spezialeffekte ihn seltsamerweise vor Stolz erröten ließen). Danach schlug Ralph mit Cecil im Lagerraum des Klamottenladens die Zeit tot und kaufte für Daphne einen heruntergesetzten Haarreifen mit zwei monströsen Filzaugen, die an Drähten über der Stirn baumelten. Eine tolle Requisite für die Kurzfilme der frischgebackenen Handy-Filmemacherin.
Jeden Abend vergewisserte sich Ralph mehrmals, dass in seinem Zimmer Fenster und Türen verriegelt waren. Denn er rechnete fest mit einem Eindringling. Es brauchte nicht viel Fantasie, um sich vorzustellen, dass jemand in das düstere, vom Haupthaus weit entfernte Torhaus einbrechen würde. Um solche Gedanken vor dem Einschlafen zu verscheuchen, war Ralph dazu übergegangen, im Bett mit dem Laptop auf dem Schoß Spiele-Ideen zu entwickeln oder an der langen Entschuldigungs-E-Mail für seine Eltern herumzubasteln. Die Mail würde er abschicken, sobald er die Internet-Verbindung eingerichtet hätte. In diesen Momenten wanderte sein Blick im schwachen Licht des Bildschirms immer wieder über die nackten Steinwände. Nichts als das leise Klappern seiner Tastatur war zu hören, und die Blätter des Baumriesen schwankten wie Schatten hinter den Fenstern. In genau diesen Momenten fragte Ralph sich, was er tun würde, sollte jemand an die Eingangstür klopfen. Es gab keinen Spion und auch niemanden, der Ralph hören würde, wenn er um Hilfe riefe. Ihm würde nichts anderes übrig bleiben, als stumm abzuwarten, was geschähe, und einfach nicht zur Tür zu gehen. Das schien Ralph als Verteidigungsstrategie ziemlich dürftig.
Letztendlich ließ es der Eindringling, der im Übrigen kein Er, sondern eine Sie war, gar nicht dazu kommen: Die Dame saß direkt am Fußende von Ralphs Bett. Dabei passte das hochadelig-herzogliche Hinterteil perfekt zwischen Ralphs ausgestreckte Beine. Er hatte
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