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Die äußerst seltsame Familie Battersby (German Edition)

Die äußerst seltsame Familie Battersby (German Edition)

Titel: Die äußerst seltsame Familie Battersby (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E. Archer
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noch zwölf Minuten zu leben. Wobei … jetzt wahrscheinlich nur noch elf.«
    Eine Enthauptung zu einem noch ungewissen Termin hätte Ralph, auch wenn es um seinen Kopf ging, ganz gut verdrängen können. Aber in elf Minuten! Jetzt da er den genauen Zeitpunkt seines Ablebens kannte, setzten endlich vernünftige Reaktionen bei ihm ein. Während Chessie ihren Tee weiter abschmeckte, sprang Ralph auf und rüttelte an der Tür der Kutsche.
    Selbstverständlich war diese immer noch verriegelt.
    Die Klinke nicht herunterdrücken zu können, war für Ralph der absolute Super-GAU. Dabei war er – wovon er selbst allerdings keine Ahnung hatte – eigentlich ein Glückspilz. Erstens hatte Chessie vergessen, die Kupfer-Giftspinne auf die Unterseite der Klinke zu setzen. Zweitens war die Bissige Aspisviper über dem Türrahmen eingeschlafen. Drittens konnte Chessie von ihrem Sessel aus den Hebel zum Öffnen der Falltür nicht betätigen.
    Letzteres ließ Chessie in sich hineinfluchen, während sie Ralph mit Blicken durchbohrte. Natürlich wusste sie genau, wer er wirklich war. Aber weil der Zauber es nun einmal verlangte, hatte sie meine Befehle auszuführen. Eigentlich war es eine Schande, Ralph enthaupten zu müssen. Er war nett – nur eben ein bisschen konfus und unromantisch und völlig ungeeignet, um an einer Quest teilzunehmen.
    Trotzdem musste Chessie tun, was von ihr verlangt wurde. Ihr Neffe Cecil hatte einen einfachen Wunsch ausgesprochen. Es lag jetzt in ihrer Verantwortung, den geheimnisvollen Nimbus hochherrschaftlicher Macht aufrechtzuerhalten. Die Vertreter des Hochadels hatten ihre politische Macht verloren. Deshalb war es umso wichtiger, diese Macht im Reich der Magie und Mythen weiterhin auszuüben. Die Blütezeit echter Magie war vorbei. Natürlich konnte sich Chessie nicht mit gekrönten Häuptern wie, sagen wir, den russischen Zaren vergleichen. Aber wenigstens konnte sie verflucht noch mal ihrem eigenen Neffen seinen größten Wunsch erfüllen.
    Das Wunschgewähren war seit jeher mit einem großen logistischen Aufwand verbunden – die Königlich-Narratologische Gilde hat zwanzig Vollzeitmitarbeiter, die nichts anderes tun, als Geschichten aufzuzeichnen und zusammenzutragen. Daneben gibt es jede Menge Teilzeitbeschäftigte. Und die sind teuer – fünf Prozent des britischen Bruttoinlandsprodukts werden für Komparsen, Tiertrainer, Magier und Ähnliches ausgegeben. Ein Großteil der Kosten kommt allerdings über Lizenzgebühren für Buch- und Filmrechte wieder rein. Chessie jedenfalls konnte es sich nicht erlauben, nach elf verlorenen Jahren endlich wieder einen Wunsch zu gewähren, und das ganze Projekt durch einen rotznasigen Amerikaner, der hier nichts zu suchen hatte, in Gefahr zu bringen.
    Nein, Ralph musste hingerichtet werden – daran ließ sich nichts ändern. Und am besten öffentlich, um damit gleichzeitig Cecil ein bisschen einzuheizen. Aber wenn Ralph weiter so viel Ärger machte, würde es eine Hinrichtung im privaten Rahmen auch tun.
    Eigentlich hatte ich gehofft, nicht mehr gezwungen zu sein, Chessie vor Ralphs Augen zaubern zu lassen. Ausländer reagieren meistens sehr verunsichert, wenn sie mit Magie der alten Schule konfrontiert werden. Aber Ralph hatte ja auch schon mit Einhörnern und Elfen Bekanntschaft gemacht. Da dürfte ihm ein bisschen Hexerei bestimmt nichts ausmachen. Also hob Chessie die Fingerspitzen – sie hätte genauso gut die Arme hochstrecken können, aber man kann’s ja auch übertreiben –, und zauberte Ralph mit einem Ruck das Hemd vom Leib.
    Ein bisschen seltsam, ja, richtig. Hat etwas Raubtierhaftes, ich geb’s zu, etwas TV-Produktions-Lüsternes. Doch hatte Chessie ja nun einmal genau dieses Image in ihren Fernsehauftritten: eine Frau, die erwischt wird, wie sie ihren Ehemann betrügt, sich die Haare tomatensoßenrot färbt und immer in etwas zu kurzen Röcken herumläuft. Mit anderen Worten: Sie ist ein Objekt wilder Fantasien. Gerade sie sollte Teenagern nicht das Hemd vom Leib reißen. So etwas kann leicht falsch verstanden werden. Aber ausgerechnet das tat sie nun einmal.
    Andere Erzähler würden mit Blick auf ihre Auftraggeber vielleicht pfuschen und die Dinge hier und da glätten. Ich aber verteidige unbestechlich meine Ehre als Erzähler.
    Immerhin ließ Chessie von den übrigen Anziehsachen die Finger. Mit Ausnahme der Hose natürlich.
    Während beide Kleidungsstücke vor Ralph in der Luft schwebten, riss es das Hemd lautlos und sauber

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