Die äußerst seltsame Familie Battersby (German Edition)
zu schieben. Außer Schrammen brachte ihnen das nichts ein. Doch dann versank Beatrice’ Hand plötzlich in einem der Steine. »Hab ihn!«, verkündete sie.
»Warte«, sagte Ralph, »lass mich vorgehen!«
»Hast du sie noch alle? Die entdecken dich doch sofort!«
Ralph blickte an sich herab. Seine bunten Farben waren in der weiß gewaschenen Welt der Untoten noch auffälliger. »Warum bin ich eigentlich farbig?«, fragte er.
»Keine Ahnung«, gestand Beatrice. »Nichts für ungut, aber du bist voll der Klotz am Bein!«
»Danke.« Ralph machte ein beleidigtes Gesicht.
Beatrice nahm seine Hand. »Trotzdem bin ich sehr froh, dass du hier bist. Aber ich gehe zuerst, und ich sage auch nicht, dass wir zusammengehören, wenn du entdeckt wirst.«
Und damit verschwand sie in der Mauer. Ralph holte tief Luft und sprang hinterher.
Aber anstatt ins Gestein einzutauchen, prallte er davon ab und landete mit aufgeschrammter Stirn und kräftigem Ohrensausen auf dem Hintern. Er tippte mit dem Zeigefinger gegen den Stein. Er gab nicht nach, nicht einen Millimeter.
Nach einer Weile tauchte Beatrice wieder auf. »Hat’s nicht geklappt?«
Ralph schüttelte den Kopf.
Sie stupste ihn gegen die Brust. »Ich frage mich langsam, ob du vielleicht gar nicht tot bist, mein Lieber. Hmm. Ich muss irgendwo ein Seil auftreiben«, überlegte sie laut. »Konzentrier du dich darauf, nicht aufzufallen! Ich bin gleich wieder da.«
Ralph nickte, aber da war sie schon wieder verschwunden. Es gab wahrlich Schöneres, als allein zwischen diesen Schatten auszuharren. Aber Ralph hatte ja keine andere Wahl.
Also versteckte er sich in einer Mulde am Fuß eines Baums und starrte angespannt auf den Rand der Festungsmauer. Nicht auszumalen, wenn er das herabfallende Seil verpassen würde!
Das Grauen, das seine Umgebung in ihm auslöste, erinnerte ihn an seine kindlichen Fantasien. Er konnte sich das Gefühl noch gut vergegenwärtigen, damals in den Campingurlauben mit seinen Eltern. Tagsüber hatte er viel Spaß – beim Fangenspielen, mit seinem Xylophon und den vielen Steinen, die nur auf einen Platz in seiner Sammlung warteten. Aber damit war es vorbei, wenn er sich die Zähne putzen musste. Auf seinem allabendlichen Gang zu den Waschräumen des Campingplatzes fing der matte Lichtkegel seiner Taschenlampe vertraute Dinge ein – verwelkte Blätter, aufgehäufte Zweige, die leuchtenden Augen eines Nagetiers. Aber jenseits dieses Lichts blieb die Dunkelheit ringsum die große Unbekannte. Selbst Jahre später schaffte Ralph es beim Campen nicht, zum Waschraum zu gehen , nein, er musste immer rennen , kopflos, von zahllosen seiner Fantasie entsprungenen Geistern gehetzt. Wenn er dann zum Zelt zurückkehrte, versuchte er, sich nicht anmerken zu lassen, dass er völlig außer Atem war.
Jetzt hatte Ralph fast dasselbe Gefühl. Nur dass diese Angst einen Tick anders war … genauso groß, leider jedoch sehr viel begründeter. Denn jetzt musste er sich die bösen Wesen, die durch die Nacht schlichen, nicht mehr vorstellen. Sie waren da, unübersehbar. Es gab inzwischen so viele Schatten, dass sie riesenhaft miteinander verschmolzen und schaurige Pyramiden bildeten, deren Ausläufer wie tote Finger nach dem Himmel griffen.
Im Moment allerdings ignorierten die Schatten Ralph. Der seltsame, knallbunte junge Mann war ihnen egal.
Nach einer Weile nahm Ralph am oberen Mauerrand eine Bewegung wahr und sah etwas herunterfallen. Er bemühte sich (vergeblich), die Schatten aus seinem Bewusstsein auszublenden, schlich zur Mauer und inspizierte, was da herunterhing. Es war kein richtiges Seil, eher eine Kette aus Knochen, mit Sehnen und Gedärmen aneinander geknotet. Ralph packte das Ende und machte sich an den Aufstieg. Plötzlich bemerkte er, dass das von den Schatten ausgehende Hintergrundrauschen verstummt war. Als er sich umblickte, sah er, dass sie ihn regungslos anstarrten. Sie starrten und starrten, und mit einem Mal stürzten sie los, alle auf einmal, hin zum Knochenseil.
Die Schatten schlugen nach Ralph. Entsetzt kniff er beim ersten Schlag die Augen zu und klammerte sich mit aller Kraft an das behelfsmäßige Seil. Was er dann jedoch spürte, war nur ein leichtes Kältegefühl. Er öffnete die Augen. Die Schatten schlugen wirklich mit ihren Schattenfäusten auf ihn ein. Aber die Fäuste sanken einfach durch Ralphs Körper hindurch.
Er biss die Zähne zusammen, damit sie nicht mehr vor Kälte und Furcht klapperten, und kletterte weiter. An den
Weitere Kostenlose Bücher