Die Affäre Mollath: Der Mann, der zu viel wusste (German Edition)
aus: Am 27. Februar 2006 protokolliert ein Beamter der Polizeiinspektion Nürnberg-Mitte, wie ein gewisser Gustl Mollath zwei Streifenpolizisten an der Nürnberger Lorenzkirche anspricht. Er bittet die Beamten, seine Personalien mit dem Fahndungsbestand der Polizei abzugleichen. Die Polizisten lehnen dies zunächst ab. Dann aber provoziert Mollath, um sein Ansinnen durchzusetzen, die Uniformierten und schreit auf dem Platz vor der Kirche herum. Aufgrund dieses verbal aggressiven Verhaltens, protokolliert der Streifenpolizist, habe man ihn »zur Identitätsfeststellung zu hiesiger Dienststelle verbracht«. Dort wird festgestellt, dass tatsächlich ein aktueller Einweisungsbeschluss der Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth vorliegt. Von dort aus bringen die Polizisten Mollath in die Bezirksklinik nach Erlangen.
Mit anderen Worten: Gustl Mollath hat sich der Polizei gestellt, auf merkwürdige Art und Weise. Nach Aktenlage wollte er, der zu diesem Zeitpunkt seit einem Monat per Unterbringungsbeschluss gesucht wurde, sich an diesem Tag bewusst festnehmen lassen. Ein Verhalten, das bei Menschen, die zur Fahndung ausgeschrieben sind, nicht selten ist. Aber wie kommt es dann zu der abstrusen Darstellung im Urteil, die dort immerhin eine halbe von 28 Seiten einnimmt? Hatte das Gericht Halluzinationen?
Vermutlich ging man vom falschen Vorgang aus. Mollath sollte, wohlgemerkt noch nicht als verurteilter Straftäter, 2005 zur Beobachtung gegen seinen Willen ins Bezirkskrankenhaus Erlangen gebracht werden. Deshalb versteckte er sich damals auf seinem Dachboden, als er abgeholt werden sollte. Das Gericht hat diese Situation wohl mit der Festnahme 2006 verwechselt. Das mag die Erklärung sein, ist aber keine Rechtfertigung für haarsträubende sachliche Fehler in einem für das weitere Leben eines Menschen entscheidenden Gerichtsurteil.
Die falsche Jahreszahl der angeblichen Misshandlung seiner Ehefrau, die falsche Schilderung seiner Festnahme – es sind nicht die einzigen Merkwürdigkeiten: Auf Seite sechs wird der Richterspruch auf eine Art dubios, die man in einem Dokument einer Strafkammer am Landgericht kaum für möglich halten würde. Dort heißt es, in der vorangegangenen Hauptverhandlung zwischen dem 25. September 2003 bis April 2004 vor dem Amtsgericht Nürnberg habe Mollath einen Schnellhefter zu seiner Verteidigung übergeben, dessen Schriftsätze »in keinerlei erkennbarem Zusammenhang mit den Anklagevorwürfen« stünden.
Man muss es sich vor Augen führen: Die Anklage lautete bereits vor dem Amtsgericht auf Körperverletzung, begangen angeblich von Mollath an seiner Ehefrau. Der Angeklagte übergibt dem Amtsrichter einen Schnellhefter. Dieser enthält Schriftstücke, die mit dem Verfahren angeblich nichts zu tun haben. Listen mit historischen Daten und andere Ausführungen, in denen Mollath in weitschweifigen und stellenweise absurd anmutenden Exkursen auf das Weltgeschehen blickt und es vor dem Hintergrund seiner Lebensgeschichte reflektiert. Aber: Im Schnellhefter finden sich ebenfalls zahlreiche Briefe, in denen der Rosenkrieg zwischen Mollath und seiner Frau auf das detaillierteste dokumentiert ist. Wer diese Briefe liest, der meint am Ende sehr viel über diese Beziehung zu wissen. Wie Mollath in Briefen darum gekämpft hat, dass seine Frau ihre berufliche Situation ändert, mit den schmutzigen Geldgeschäften in der Schweiz aufhört. Wie Mollath sich in den Briefen darüber beklagt, dass sich seine Frau in Streitsituationen nicht im Griff hat. Dass sie aus seiner Sicht übergriffig sei, zu sprunghaften Handlungen neige, einmal sogar im Streit aus einem fahrenden Auto gesprungen sei. Dass es körperliche Übergriffe von seiner Frau auf ihn gegeben habe.
Mit anderen Worten: Da steht einer vor allem wegen häuslicher Gewalt vor Gericht. Das Gericht interessiert sich aber nicht für die qualvollen Umstände, unter denen die Ehe dahinschied. Lapidar wischt es diese Umstände weg mit dem Satz, die Darstellungen darüber stünden in »keinerlei erkennbarem Zusammenhang« mit dem Anklagevorwurf der Körperverletzung unter Eheleuten. Wer so handelt, muss sich als Richter fragen lassen, ob er nicht seinen Beruf verfehlt hat. Vermutlich haben sowohl das Amtsgericht 2003 als auch später das Landgericht diesen Briefwechsel nicht wirklich zur Kenntnis genommen – oder nicht zur Kenntnis nehmen wollen.
Und es geht weiter mit den Fehlern im Landgerichtsurteil. Auf Seite sieben beschreibt Richter Brixner, dass Mollath
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