Die Affäre Mollath: Der Mann, der zu viel wusste (German Edition)
darüber geschwiegen. Erst als fünf Jahre später allmählich klarwurde, dass Mollaths Schwarzgeldvorwürfe keineswegs krankhafte Phantasterei, sondern Realität waren, entschied sich Westenrieder, über seine Wahrnehmung des Prozesses zu sprechen. Im Licht der neuen Erkenntnisse und Entwicklungen hält er das damals ergangene Urteil mindestens für »überaus angreifbar«. Westenrieder sagt, das Gericht hätte angesichts der Situation, Aussage gegen Aussage, der Frage nachgehen müssen, welche Motive Frau Mollath gehabt haben könnte, ihrem Mann etwas anzuhängen. Wohlgemerkt, das sei nicht bewiesen, aber es hätte von einem sauber arbeitenden Gericht zumindest geprüft werden müssen, findet Westenrieder. Und das Gericht hätte den diversen Schwarzgeldvorwürfen des Angeklagten Gustl Mollath »unbedingt nachgehen« müssen, sagt der Schöffe im Nachhinein.
Auch hätte es einen zweiten psychiatrischen Gutachter hinzuziehen müssen. Denn das war ihm als Laienrichter aufgefallen: dass das Gutachten des Bayreuther Psychiaters Klaus Leipziger weitgehend nach Aktenlage erstellt worden war. Ein »schwaches Gutachten«, wie Westenrieder damals schon fand. Was die Frage aufwirft: Warum hat er als Schöffe auf der Richterbank neben Otto Brixner, einer weiteren Berufsrichterin und einer zweiten Schöffin damals nicht entsprechend das Wort erhoben? Es war wohl eine Frage von Loyalität. So steht auch Westenrieders Name auf dem Urteil, das die 7. Strafkammer am 8. August 2006 »Im Namen des Volkes!« spricht:
»1. Der Angeklagte wird freigesprochen.
2. Die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus wird angeordnet.
3. Der Angeklagte trägt die Kosten des Verfahrens, die Kosten der Nebenklage und seine eigenen notwendigen Auslagen.«
Mollath wird also von den Vorwürfen der Körperverletzung, Freiheitsberaubung und gefährlichen Sachbeschädigung, Reifenstecherei, freigesprochen, weil er nach Auffassung des Gerichtes krank und damit schuldunfähig ist. Weil er aber eine Gefahr darstelle, wird er in die geschlossene Psychiatrie eingewiesen.
Das Urteil, das der Bundesgerichtshof 2007 nicht zu beanstanden fand, ist gespickt mit unglaublichen sachlichen Fehlern. Auf den samt Begründung und rechtlicher Würdigung insgesamt 28 Seiten steht zum Teil nachweislich hanebüchener Unsinn. Das beginnt auf Seite drei. »Der Angeklagte schlug am 12.08.2004 seine Ehefrau, von der er inzwischen geschieden ist, grundlos mehrfach auf den gesamten Körper, würgte sie bis zur Bewusstlosigkeit und trat sie mit den Füßen«, stellt das Gericht dort fest. Immerhin wird damit der zentrale Vorwurf, dessentwegen sich Gustl Mollath vor der Strafkammer hatte verantworten müssen, als zutreffend gerichtlich festgestellt.
Allerdings: Die angebliche Tat Mollaths soll sich nicht 2004, wie im Urteil angegeben, sondern genau drei Jahre vorher zugetragen haben. Denn laut Anklage und einem ärztlichen Attest soll sich der angebliche gewaltsame Übergriff im Jahr 2001 ereignet haben.
Nur ein Schreibfehler, ein Flüchtigkeitsfehler, wird sich die Nürnberger Justiz Jahre später kleinlaut herausreden. Im ersten zentralen Satz eines Landgerichtsurteils den Tatzeitpunkt um drei Jahre nach hinten zu datieren zeugt zwar nicht unbedingt von präziser Arbeit eines Gerichtes, aber man könnte dies noch als einen bedauerlichen, kleinen Lapsus abtun. Hätte es damit sein Bewenden.
Was auf Seite neun der Urteilsbegründung geschildert wird, lässt einen ratlos zurück: Brixners Strafkammer beschreibt dort im Detail, wie Mollath nach den Feststellungen des Gerichts am 27. Februar 2006 in seinem Haus in Nürnberg-Erlenstegen festgenommen wurde. Das Haus sei unbewohnt erschienen, »weil die Rollläden heruntergelassen waren«. Wörtlich heißt es weiter: »Im Haus befanden sich jedoch Anhaltspunkte dafür, dass der Angeklagte sich in dem Anwesen aufhielt (der Kamin rauchte, das Teewasser in der Küche war warm). Die Tür zum Dachboden war versperrt. Der Angeklagte konnte dann auch auf dem Dachboden in einem Zwischenboden, wo er sich vor der Polizei hinter einer Kiste versteckte, aufgefunden werden. Er ließ sich durch die Beamten festnehmen, schimpfte aber, er befände sich in einem Polizeistaat. Der Angeklagte wurde zunächst ins Bezirkskrankenhaus Erlangen, dann nach Bayreuth verbracht und befindet sich nunmehr im Bezirkskrankenhaus Straubing.« Sehr anschaulich, sehr genau. Und doch ist es kompletter Blödsinn.
Denn die Wahrheit sieht so
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