Die Affäre Mollath: Der Mann, der zu viel wusste (German Edition)
Abgründe dieser Ehe genauer zu untersuchen und nicht nur festzustellen, dass einer grundlos den anderen geschlagen hat: Das Gericht hätte dann womöglich erkannt, dass Mollath in seiner Verteidigungsschrift in eigener Sache die in Rede stehende Situation beschrieben hat. Und bestätigt hat, dass es zu einem Vorfall gekommen ist: »Wir haben uns heftig gestritten, sie will nicht aufhören. Wie schon mal passiert, sie geht auf mich los. Tritte und Schläge. Leider wehre ich mich.« Das könnte man zum Teil als eine Art Schuldeingeständnis werten. Nicht einmal das ist dem Gericht aufgefallen; in dem Urteil findet sich von diesem zentralen Satz aus der Feder Mollaths: kein Wort.
Man müsste nun also nicht mehr diskutieren, ob da irgendwas vorgefallen ist im August 2001 zwischen den Eheleuten Mollath. Aber was da genau war, das müsste man sehr wohl erforschen. Gewaltsame Übergriffe von Ehefrauen an ihren Ehemännern sind nicht so selten. Der Möglichkeit, dass ein Mann sich gegen eine Frau gewehrt und sich dabei möglicherweise selbst vergessen hat – aber sich eben ursprünglich gewehrt hat –, auch dieser Möglichkeit muss ein Gericht nachgehen. Aber Brixner und seine Beisitzer sehen das offenbar anders. Sich mit den Argumenten und der komplizierten, nicht in wenigen Minuten zu skizzierenden Geschichte Mollaths auseinanderzusetzen – war das vielleicht zu aufwendig, zu schwierig? Oder unterließ man es, weil man schon vor dem Verfahren wusste, wohin man wollte mit dem Urteil?
Jedenfalls scheint in Sachen Körperverletzung Lustlosigkeit das Prinzip gewesen zu sein, bei der 7. Strafkammer. Im engeren Sinn finden sich genau zwei Sätze dazu in der Beweiswürdigung.
Der erste Satz: »Die Feststellungen zu dem Verlauf der Ehe des Angeklagten, die Schilderung seines eigenartigen Verhaltens und seiner sich immer weiter steigernden Aggressivität beruhen […] auf der Aussage seiner geschiedenen Ehefrau, an deren Glaubwürdigkeit die Kammer keinen Zweifel hat.«
Der zweite Satz: Die ehemalige Frau von Mollath »schilderte die Taten des Angeklagten so – wie oben dargelegt – ruhig, schlüssig und ohne jeden Belastungseifer«.
Das soll nun also eine Beweiswürdigung sein? Immerhin: Es gibt das Attest aus einer Nürnberger Arztpraxis, das die Folgen der angeblichen Prügel anscheinend belegt. Das Gericht stützt sich nicht nur darauf, sondern schreibt den Text praktisch komplett ab. Dass dieses Attest erst neun Monate nach der angeblichen Tat ausgestellt wurde – im Urteil findet sich dazu kein Hinweis. Man hätte das ärztliche Gutachten überhaupt hinterfragen müssen. Dann wäre man womöglich damals schon auf jene bedenklichen Umstände gestoßen, unter denen es zustande gekommen ist. Die Staatsanwaltschaft Regensburg wird diese 2013 im Zuge ihrer Ermittlungen für das Wiederaufnahmeverfahren offenlegen. Dazu später.
Für sich genommen ist die zeitliche Verzögerung zwischen angeblicher Tat und Attest kein hartes Indiz dafür, dass diese Tat nicht stattgefunden hat. Zumal die damalige Frau Mollath zwei Tage nach der behaupteten Körperverletzung beim Arzt war. Aber: Das Gericht macht sich nicht einmal die Mühe, dieses Dokument zu prüfen. Niemand aus der Arztpraxis wird als Zeuge gehört (worüber man sich in der Praxis noch Jahre später wundern wird). Und wieder passiert ein kleiner, für diesen Prozess aber typischer Fehler.
Im Urteil liest es sich so: »Zudem wird die Schilderung von Fall 1 [der angeblichen Körperverletzung] durch ein ärztliches Attest von [Name der Ärztin] bestätigt.« Wirklich? Der Presse erzählt ein Vertreter dieser Nürnberger Arztpraxis Jahre später etwas ganz anderes: Nicht etwa die Ärztin habe das Attest ausgestellt, sondern deren Sohn als ihre Urlaubsvertretung. Aber das kann das Gericht natürlich nicht wissen. Es hat ja nie nachgefragt.
Mollath, immerhin das nimmt das Gericht auf, habe angegeben, es sei immer wieder zu Streit gekommen. Wegen der dubiosen Bankgeschäfte der Frau. Im Verlauf dieser Auseinandersetzungen habe sie, seine Ehefrau, ihn geschlagen. Er habe sich lediglich gewehrt. Die Passage umfasst in dem Urteil exakt fünf Zeilen. Allein die grotesk falsche Schilderung, wie Mollath im Februar 2006 angeblich festgenommen wurde, nimmt das Doppelte an Platz ein. So sind die Proportionen in diesem Urteil. Breitesten Raum erhält dafür das Schreiben des Bayreuther Psychiaters Klaus Leipziger, der Mollath für sein Gutachten nicht untersucht hat. Er wurde mit
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