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Die Affäre Mollath: Der Mann, der zu viel wusste (German Edition)

Die Affäre Mollath: Der Mann, der zu viel wusste (German Edition)

Titel: Die Affäre Mollath: Der Mann, der zu viel wusste (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Ritzer , Olaf Przybilla
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zum Teil Jahre. Das zeigt, wie wenig es braucht und wie verblüffend schnell es gehen kann, dass jemand auf unbestimmte Zeit in der Psychiatrie landet. Und wie bisweilen das bloße Studium noch dazu in Teilen fehlerhafter Akten reicht, um jemanden in eine Anstalt zu sperren. Im Fall Gustl Mollath reichten nie überprüfte Schilderungen und Aussagen der Ehefrau aus, um eine Lawine in Gang zu setzen.

Bezirkskrankenhaus Erlangen, Donnerstag, 18. September 2003
    »Ärztliche Stellungnahme« ist ein Attest betitelt, das eine Fachärztin der Institutsambulanz des Bezirksklinikums Erlangen auf dem offiziellen Briefpapier der psychiatrischen Klinik schreibt. Die Ärztin Dr. Claudia G. (Name geändert) hält fest, es sei davon auszugehen, dass Gustl Mollath »mit großer Wahrscheinlichkeit an einer ernstzunehmenden psychiatrischen Erkrankung leidet«.
    Woher will sie das wissen? Sie hat Gustl Mollath noch nie gesehen, geschweige denn untersucht. Die einzige Quelle, auf die sie sich für ihre »ärztliche Stellungnahme« berufen kann, ist die Ehefrau Mollaths. Ihre bloße Schilderung über die angeblichen Verhaltensweisen ihres Noch-Ehemannes reicht Dr. Claudia G. offenbar aus. Eine Diagnose vom bloßen Hörensagen, eigentlich unglaublich. Es geht hier um die Frage, ob ein Mensch eine Gefahr für die Allgemeinheit darstellt, weil er womöglich geisteskrank ist. Die Schilderung der Ehefrau sei »von psychiatrischer Seite in sich schlüssig«, schreibt die Medizinerin. Von Mollath sei »eine erneute Fremdgefährlichkeit zu erwarten«. Wie gesagt: Das schreibt eine Fachärztin auf bloße Erzählung hin so auf offiziellem Briefpapier der Klinik.
    Nicht nur, dass sie damit einen Mann für krank erklärt, den sie nie gesprochen, geschweige denn je gesehen oder untersucht hat. Sie hat diese Stellungnahme auch nicht als Sachverständige wenigstens nach einem eingehenden Aktenstudium im Auftrag eines Gerichtes oder einer anderen staatlichen Institution abgegeben. Sondern lediglich auf Anfrage einer Privatperson. Und ihre einzige Quelle ist ebendiese Privatperson. Allein aufgrund von deren Schilderung glaubt die Ärztin von einer »glaubhaften« und »in sich schlüssigen Anamnese« ausgehen zu können.
    Entspricht so etwas den Regeln eines psychiatrischen Fachkrankenhauses in Deutschland? Wenn dem so wäre, dann könnte in einem Rosenkrieg praktischerweise jeder Ehepartner eine solche Klinik aufsuchen, dort über angebliche Auffälligkeiten seines sich angeblich ungut aufführenden Partners schwadronieren und mit ein bisschen Überzeugungskraft das Krankenhaus mit einem ärztlichen Dokument verlassen, auf dem etwas von »großer Wahrscheinlichkeit« und »ernstzunehmender psychiatrischer Erkrankung« steht.
    Die Erklärung der Erlanger Klinik kommt dürr daher, ist aber eindeutig: »Ohne Beauftragung einer berechtigten Institution (z.B. Gerichte) und ohne Entbindung von der ärztlichen Schweigepflicht geben die Bezirkskliniken Mittelfranken keine Stellungnahme an Dritte ab.« Außerdem sei »eine medizinische Stellungnahme über Dritte ohne persönliche Visitation« in den Bezirkskliniken Mittelfranken »generell nicht üblich«. Mit anderen Worten: Die Fachärztin Claudia G. hat eklatant gegen die Gepflogenheiten einer Bezirksklinik verstoßen. Sie stieg trotzdem zur Oberärztin auf.

Amtsgericht Nürnberg, Donnerstag, 22. April 2004
    Angesichts der Stellungnahme von Dr. Claudia G. entscheidet das Nürnberger Amtsgericht, Gustl Mollaths Geisteszustand und Gefährlichkeit von einem Sachverständigen überprüfen zu lassen, und beauftragt damit Thomas Lippert. Seit 1991 ist er als Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie durch die Bayerische Landesärztekammer anerkannt; erst 2005, zwei Jahre nach dem Auftrag durch das Amtsgericht, erteilt ihm die Kammer die Bezeichnung Facharzt für forensische Psychiatrie.
    Lippert kommt zum Ergebnis, bei Gustl Mollath liege eine gravierende psychische Erkrankung vor, vermutlich eine Psychose. Die Prognose sei ungünstig, da keine Einsicht vorliege. Auch dieses Wort wird sich im Laufe des Ganges Mollaths durch die psychiatrischen Institutionen zum fatalen Topos entwickeln: Weil er keine Einsicht zeigt, ist seine Prognose ungünstig. Weil seine Prognose ungünstig ist, muss er wohl in Behandlung bleiben. Nur eine stationäre Behandlung könne weitere Erkenntnisse bringen.
    Doch auch Lippert hat Gustl Mollath nicht in einem Explorationsgespräch untersucht, weil Mollath dazu nicht bereit war. So

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