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Die Affäre Mollath: Der Mann, der zu viel wusste (German Edition)

Die Affäre Mollath: Der Mann, der zu viel wusste (German Edition)

Titel: Die Affäre Mollath: Der Mann, der zu viel wusste (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Ritzer , Olaf Przybilla
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befindet, das wird von den Nervenärzten nicht erörtert.
    »Der Affekt ist heiter«, notiert der Aufnahmearzt, »die Stimmung wirkt grenzwertig gehoben.« Was derselbe Arzt wohl notiert hätte, wenn sich Mollath anders verhalten hätte? Ostentativ missgelaunt etwa? Oder gar unterschwellig aggressiv? Nein, in diese Falle beabsichtigt Mollath offenbar nicht zu tappen. Er bleibt »heiter«. Und bekommt dafür im »Befund« umgehend eine ärztliche Vokabel zugeteilt: »grenzwertig«.
    Als Nächstes streift Leipzigers Gutachten den Komplex Reinlichkeit. Schon der aufnehmende Arzt hat Mollath, der die Nacht in der Polizeizelle verbracht hatte, als »ungepflegt« beschrieben, der Stationsarzt präzisiert dies nun eine Woche nach der Einlieferung: Mollath weigere sich, sich zu waschen. Dies tue er »sehr demonstrativ«. Er gebe an, sich nur mit Kernseife waschen zu wollen, da alles andere Zusatzstoffe habe. Auch die Nahrungsaufnahme verweigere er. Zusammen mit der Beobachtung, dass Mollath auch barfuß auf der Station umherlaufe, ergibt das für den Stationsarzt ein klares Bild: »Deutlich bizarre Verhaltensmuster« – und das auch noch »mit demonstrativer Komponente«. Bizarr?
    Die Begründung für Mollaths Wunsch nach einer Kernseife steht zwar dabei, scheint in der Klinik aber nicht wirklich auf Interesse zu stoßen: Mollath hat offenbar die Erfahrung gemacht, dass seine Haut auf parfümierte Seife allergisch reagiert. Nur bekommt er die Kernseife in der Bayreuther Klinik eben nicht. Stattdessen dienen der Wunsch und die Weigerung, sich mit etwas anderem zu waschen, als Beleg für eine Art krankhafter Renitenz.
    Am 28. Februar, zwei Wochen nach der Zwangseinlieferung, hat Mollath schließlich die geforderte Kernseife. An diesem Tag ist in der Klinikdokumentation plötzlich anderes über ihn zu lesen: Er zeige nun »ein äußerlich ordentliches Erscheinungsbild«, trinke viel Tee und Mineralwasser, habe »regen Kontakt zu einem Mitpatienten« und mache mit diesem »Gesellschaftsspiele im Aufenthaltsraum«. Wenn man mit Menschen spricht, die Mollath lange kennen, so entspricht dies so ziemlich dem, was man über ihn hören kann. Ein zugänglicher, sozial eingestellter, humorvoller und an Gesellschaft interessierter Mensch. Was Mollath gefehlt hat, ist offenbar: eine stinknormale Kernseife.
    Auf Seite 21 des Gutachtens erfährt der Leser, warum sich Mollath so darüber aufgeregt hat, keine ihm gemäßen Hygieneartikel zur Hand zu haben. Bereits am zweiten Tag seines Zwangsaufenthaltes in Bayreuth habe er sich Leipziger gegenüber darüber beklagt, dass die ihn festnehmenden Polizeibeamten ihm nicht erlaubt hätten, sich seine notwendigen Körperpflegemittel und Nahrungsmittel einzupacken. Er bitte daher um Hilfe, sich »Kernseife und Nahrungsmittel aus biologisch-dynamischem Anbau beschaffen zu dürfen«.
    Neun Tage nach der Zwangseinweisung scheint es allerdings auch mit der heiteren Stimmung dahin zu sein. Natürlich ist das nun ebenfalls ein Anlass zur Analyse. Am 23. Februar 2005 zeige sich Mollath »im Kontakt misstrauisch«. Auch wirke er »häufig abweisend«, »gelegentlich auch offen verbal aggressiv«. Nun ist aus dem Spötter Mollath offenbar einer geworden, der wenig Verständnis dafür hat, als jemand, der nicht rechtskräftig verurteilt ist, weiterhin gefangen gehalten zu werden. Und der in dieser Situation auf das Grundgesetz verweist.
    Eine Argumentation, die Strafanwälte und Strafrechtsprofessoren acht Jahre später für nachvollziehbar erklären werden; eine Argumentation aber, die 2005 in der Bayreuther Klinik gar nicht gut ankommt: Als Mollath neun Tage nach der Zwangseinweisung zum Stationsarzt sagt, dieser solle »erst einmal das Grundgesetz lesen und sich über grundlegende Menschenrechte« informieren, wird dies in den Akten mit einer besonders schönen Vokabel belegt: Dieses Verhalten Mollaths sei »paralogisch«. Das meint: vernunftwidrig. Wer im Bayreuther Bezirksklinikum mit dem Grundgesetz argumentiert, scheint sehr leicht in den Verdacht von Vernunftwidrigkeit zu kommen.
    Am 23. Februar 2005 erfolgt ein Eintrag in der Klinikdokumentation: Mollath habe während einer Visite erklärt, dass »das meiste, was ihn beschäftige, seine Freiheit sei«. Ist das für einen gefangen gehaltenen Menschen nicht eine pure Selbstverständlichkeit? Aber dann hätte man möglicherweise nichts zu dokumentieren nach dieser Visite. Also wird notiert: Mollath habe dies »in läppischer Weise« getan. Eine

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