Die Affäre Mollath: Der Mann, der zu viel wusste (German Edition)
Zuschreibung, wodurch auch das logischste Verhalten eines Menschen als anormal oder zumindest auffällig diskreditiert werden könnte. Wer sagt: Ich stehe auf dem Boden des Grundgesetzes, dies aber subjektiv »in läppischer Weise« tut, der ist eben doch psychisch verdächtig.
Der Haken an der Zuschreibung: Es ist nicht erwähnt, auf welche Weise etwas überhaupt »läppisch« gesagt werden kann. Auch was genau den visitierenden Arzt veranlasst, Mollaths Verhalten als »läppisch« zu beschreiben, wird nicht erwähnt. Ist es vielleicht möglicherweise nur ein Eindruck? Was aber hätte dies dann in einer Dokumentation zu suchen? Und was wiederum bewegt den Chefarzt Leipziger dazu, das in sein psychiatrisches Gutachten aufzunehmen? Soll da vielleicht – man ist fast geneigt zu sagen: »in läppischer Weise« – unter allen Umständen irgendetwas Auffälliges gesucht werden?
Die Stimmung Mollaths schwankt im Folgenden. Erst war er gehobener Stimmung, dann verbal aggressiv, nun wechsle »die Stimmung von gereizt über belustigt-überheblich bis zu gehoben«. Mollath verhält sich nun offenkundig: mal so, mal so. Für das Klinikpersonal und für den Gutachter Leipziger scheint das alles hoch relevant zu sein.
Wie Mollath mit anderen Patienten umgeht, ist dem Personal und dem Gutachter Leipziger ebenfalls eine Beschreibung wert. Im Kontakt mit anderen Patienten zeige sich Mollath »recht offen«. Das wäre nun möglicherweise nicht ganz im Sinne der professionellen Beobachter, denen gegenüber sich Mollath ja alles andere als »recht offen« zeigt. Denn das würde ja dafür sprechen, dass es nicht etwa wahnhaftes In-sich-Kreisen ist, das Mollath so wenig kooperativ werden lässt. Sondern schlicht und ergreifend seinem Misstrauen dem Klinikpersonal gegenüber entspringt.
Zum Glück (für das Klinikpersonal) glaubt man Mollaths offenbar umgängliches Verhalten nun allerdings noch mit einer anderen Zuschreibung etikettieren zu können: »Recht offen« den Mitpatienten gegenüber sei sein Verhalten zwar durchaus, »allerdings mit deutlichen Tendenzen zu Distanzlosigkeit«. So wäre also auch das zugewandte und freundliche Verhalten auf einen klinikadäquaten Nenner gebracht: »Distanzlos« offen ist dieser Mann (gegenüber Nicht-Psychiatern) – wenn er nicht gerade »abweisend« und »überheblich« ist (gegenüber den Klinikpsychiatern). Ist das nun schon der Wahn?
Am 2. März erfolgt eine für die Dokumentation auffällige Bemerkung. Es geht um Mollaths Privatleben. In Leipzigers Gutachten liest man dazu nur an einer Stelle, obwohl man darüber bei einem Zwangseingewiesenen schon gerne mehr wissen würde. Läppische drei Zeilen umfasst die Passage: Bei einer Visite habe Mollath geäußert, dass er sich »Gedanken um sein Haus mache, das unversorgt sei«. Keiner würde ihm helfen, obwohl er viele Briefe an das therapeutische Team geschrieben hätte. Dass das Haus unversorgt ist, dass man sich als Hausbesitzer darüber sorgt, zumal dann, wenn man alles stehen und liegen lassen musste, ist nachvollziehbar. Von diesen Sorgen, die etwaiges nervöses oder normabweichendes Verhalten überaus nachvollziehbar machen würden, finden sich in Leipzigers Gutachten drei Zeilen. Hätte eine breitere Behandlung des Themas möglicherweise das Ergebnis – die Diagnose eines Wahns – unschön verwässert?
Am 9. März, mehr als drei Wochen nach der Einlieferung, notiert das Klinikpersonal, Mollath reagiere nun »abweisend« und »aufbrausend«. Außerdem lege er eine »unterschwellige Aggressivität« an den Tag und eine »deutliche Überheblichkeit«. Letztere zeige sich vor allem darin, dass Mollath auf die »Kenntnisse seiner Rechte« verweise. Dass er beginne, »vorwiegend in schriftlicher Form« die Zustände auf der Station mit »kritischen Kommentaren« zu belegen. Bald einen Monat ist Mollath auf dieser Station nun gefangen: Würde er anders reagieren, wäre das auffällig. Dass er Kritik übt, müsste man wohl für ein völlig angemessenes Verhalten eines erwachsenen Menschen halten. Chefarzt Leipziger tut das offenbar nicht. Für ihn sind diese Vermerke seines Personals für sein Gutachten, das Mollath einen Wahn nachsagt, von hoher Relevanz.
Mollath wird am 21. März aus dem Bayreuther Klinikum entlassen und zum Hauptbahnhof gebracht. Im November 2010 erzählt Mollath einem anderen Gutachter, dass er keinen Cent hatte, um nach Hause zu kommen. Man habe ihm auch kein Geld für die Fahrkarte gegeben. Man habe ihm gesagt,
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