Die Affäre Mollath: Der Mann, der zu viel wusste (German Edition)
sich die Einlassung, Mollath habe sich in Konfrontationen »gegenüber Mitarbeitern hocherregt, schreiend und verbal aggressiv gezeigt«. Nur: Wenn davon überhaupt die Rede war in der internen Dokumentation, dann ging es zumeist um das Thema: Kernseife.
Mollath will lediglich unter Zeugen mit Leipziger sprechen. Das sagt er ihm bereits am zweiten Tag seines Aufenthalts. Drei Tage vor der Entlassung versucht Leipziger noch einmal, eine »gezielte Exploration« durchzuführen. Mollath lässt ausrichten, er werde nicht ins Arztzimmer kommen. Leipziger begibt sich ins Patientenzimmer, er will Mollath von der »Notwendigkeit des Gesprächs in einer geordneten Untersuchungssituation« überzeugen. Mollath erklärt, Leipziger solle mit ihm im Patientenzimmer sprechen, vor Zeugen. Er habe nichts zu verheimlichen.
Das klingt für einen Menschen, der wahrzunehmen glaubt, dass ihn da einer falsch einschätzt, allzu nachvollziehbar. Mollath wird diese Denkfigur acht Jahre später wiederholen. Als Justizministerin Merk in einem ersten Schritt darauf hinwirkt, dass Mollath von einem Sachverständigen erneut begutachtet werden möge, fordert er die Aufnahme des Gesprächs: mindestens als Tonband, am besten per Video. Dieses dürfe man, betont Mollath, auch in der Öffentlichkeit abspielen. Er habe nichts zu verheimlichen.
Klaus Leipziger lässt sich durch die Argumentation Mollaths aber nicht beirren. Mollath habe sich »zusehends erregt« über die Versuche, ihn doch noch von »der Notwendigkeit des Gesprächs« zu überzeugen. Angeblich wird das Gespräch nun unangenehm für Leipziger: Mollath habe ihm Vorwürfe und Vorhaltungen gemacht, so der Gutachter. Was bleibt also für Leipziger? Nur das Ergebnis, dass sich da einer mit ihm nicht unter vier Augen unterhalten will, weil er ihm misstraut. Für den Nervenarzt ist das eine ungute Situation. Denn er dürfte als Chefarzt einer Forensischen Klinik die aktuelle Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts im Kopf gehabt haben, dass man Menschen nicht unverhältnismäßig lang gegen deren Willen einsperren darf zum Zwecke der Begutachtung – wenn diese betonen, sich nicht begutachten zu lassen.
Zudem wird ihm natürlich dadurch sehr bewusst, dass er sich in seinem psychiatrischen Gutachten lediglich auf die mäßig informative Dokumentation der Klinik verlassen muss. Der Laienrichter Westenrieder, Schöffe im Mollath-Prozess, hat sich später sehr negativ über das Gutachten Leipzigers geäußert. An etwa sechzig Verhandlungen erinnert sich Westenrieder, ein so offenkundig oberflächliches Gutachten sei ihm aber kaum untergekommen. Der Bonner Psychiatrie-Professor Klemens Dieckhöfer wiederum wird Leipzigers Gutachten in einer methodenkritischen Arbeit regelrecht in der Luft zerreißen.
Überdies ist das Verhalten Mollaths auch unter professionellen Gesichtspunkten eine Niederlage: Psychiater sind auf die Mitarbeit von Patienten und Zwangseingewiesenen angewiesen. Die guten Nervenärzte in geschlossenen Kliniken nehmen für sich in Anspruch, dass es bei den Eingewiesenen fast immer Vorbehalte und zum Teil auch massive Ängste vor den Untersuchungsgesprächen gibt. Denn es will sich keiner nachsagen lassen, dass er geistig nicht gesund ist. Außerdem wissen natürlich die eingewiesenen Menschen, dass es bei diesem Gespräch um ihre Zukunft geht, um die Frage, wo sie ihr Leben künftig verbringen.
Der Verlauf des Gesprächs von Leipziger mit Mollath im Patientenzimmer ist also für Leipziger ungut: Mollath lässt sich nicht auf ihn ein. Man könnte auch sagen, Leipziger erleidet eine professionelle Niederlage. Aber diese wird nicht etwa zuungunsten des Psychiaters ausgelegt. Sondern zuungunsten Mollaths: »Mit überlauter Stimme« habe dieser »sofort« gesprochen, er habe sich im Lauf des Gesprächs »zusehends erregt«. Nach inzwischen knapp fünf Wochen in der geschlossenen Psychiatrie unterhält sich Mollath mit dem Mann, der mitverantwortlich ist für diesen Aufenthalt. Dieser drängt ihn zu etwas, das Mollath nicht will. Dass da einer laut wird und sich zusehends erregt: Ist das auffällig?
Die Diagnose von Leipziger
Leipzigers Diagnose, die fatale Folgen für Mollath haben sollte, umfasst schließlich sieben Seiten. Er listet auf: ein wechselndes »psychopathologisches Zustandsbild«, was eine imposante fachsprachliche Beschreibung ist für den banalen Befund, dass Mollath ab und an »heiter«, dann wieder »leicht gehoben«, gelegentlich »verbal aggressiv« und
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