Die Affäre Mollath: Der Mann, der zu viel wusste (German Edition)
mitunter »gereizt«, aber auch »misstrauisch« und »abweisend« und insgesamt »ich-bezogen« sei.
Natürlich bezieht sich Leipziger dann wieder auf das Hygiene-Kernseife-Problem. In der Konfrontation mit realen Gegebenheiten zeige Mollath keine Bereitschaft, seine »rigiden eingenommenen Haltungen zu überprüfen«. Will heißen: Mollath bestand auf Kernseife. Die Formulierung Leipzigers entbehrt nicht einer gewissen Komik. Von »nicht ohne weiteres« änderbaren Gegebenheiten schreibt er. Richtig, denn der Klinik in Bayreuth war es ja erst mit Anstrengungen gelungen, nach mehr als einer Woche, eine Kernseife herbeizuschaffen.
Dann die entscheidende Passage im Gutachten. Leipziger kommt zum »Ergebnis«, dass Mollath »in mehreren Bereichen ein paranoides Gedankensystem entwickelt« habe. Der Chefarzt zählt insgesamt drei Bereiche auf:
Da sei als Erstes »der Bereich der Schwarzgeldverschiebung zu nennen«, in dem Gustl Mollath »unkorrigierbar der Überzeugung« sei, dass eine »ganze Reihe von Personen aus dem Geschäftsfeld seiner früheren Frau, diese selbst und nunmehr auch beliebige weitere Personen, die sich vermeintlich oder tatsächlich gegen ihn stellen oder stellen (müssen)«, in dieses »komplexe System der Schwarzgeldverschiebung verwickelt wären«. Diese Passage findet sich im Landgerichtsurteil des Jahres 2006 an zentraler Stelle. Als Beleg dafür, dass Mollath nunmehr »auch beliebige weitere Personen« mit Verstrickungsvorwürfen überzieht, führt Leipziger genau eine Person an: den Gutachter aus Erlangen, der sich selbst für befangen erklärt hat.
Zweitens nennt Leipziger – offenbar allen Ernstes – Mollaths »krankhaft überzogene Sorge« um seine Gesundheit, »die Ablehnung der meisten Körperpflegemittel« sowie von »Nahrungsmitteln aus nicht biologisch-dynamischem Anbau«. Man muss dieses Argument im Grunde nicht mehr kommentieren: Es ist intellektuell von verheerender Schlichtheit. Wenn einem Menschen mit dem Argument, dieser wasche sich mit Kernseife und bestehe auf Lebensmittel aus biologisch-dynamischem Anbau, ein paranoides Gedanken-system unterstellt werden kann, dann könnte man heute große Teile des aufgeklärten deutschen Stadtbürgertums für paranoid erklären. Man wird spätestens an dieser Stelle fragen müssen, was so ein Argument über denjenigen aussagt, der es in ein angeblich wissenschaftlichen Ansprüchen genügendes Gutachten einführt.
Drittens erwähnt Leipziger »paranoide Größenideen« Mollaths: Dass der 2004 einen Brief an das Amtsgericht Nürnberg geschrieben hat; er sich darin auf die Forderung des Kanzlers Gerhard Schröder nach einem Mentalitätswandel in Deutschland bezieht; und dies als »persönlichen Erfolg« wertet, legt ihm Leipziger als paranoide Größenidee aus. Dass Mollath diese Anmerkung so gemeint haben könnte, der Kanzler fordere einen Mentalitätswandel allein deshalb, weil Mollath diesen ebenfalls fordert, kann man allerdings nur mit Anstrengung in diesen Brief hineinlesen. Vielmehr geht es Mollath offenbar darum, darzustellen, dass inzwischen auch ganz andere in Deutschland einklagen, die Kluft zwischen Arm und Reich müsse kleiner werden. Und dass es dazu eben – aus Mollaths Sicht – dringend notwendig sei, die Schwarzgeldgeschäfte zu unterbinden. Das soll nun ein Anlass sein für die ja immerhin klinische Diagnose: »paranoide Größenideen«? Das wirkt hanebüchen: Es geht hier wohl eher, wenn überhaupt, um eine unglückliche, möglicherweise missverständlich ausgefallene Formulierung Mollaths.
Es sind diese drei Argumente – Schwarzgeldwahn, Hygiene-Paranoia, Größenwahn-Brief –, auf die Leipziger seine Diagnose stützt. Allesamt wirken sie dünn, auch dann, wenn man den Hypovereinsbank-Prüfbericht noch nicht kennt. Das ahnt wohl auch der Sachverständige, weshalb er noch einen Absatz hinzufügt. Leipziger bezieht sich darin auf einen Tinnitus, unter dem Mollath eigenen Angaben zufolge leidet. Und er fügt dies zusammen mit der Angabe Mollaths, er höre eine innere Stimme, die ihm sage, er sei ein ordentlicher Kerl. Zur Erinnerung: Mollath hat dies gesagt auf die psychopathologisch gemeinte Frage, ob er innere Stimmen höre. Eine offenbar schlagfertige Erwiderung Mollaths wertet Leipziger nun um: Es müsse »dabei durchaus als möglich angesehen werden«, dass Mollath »unter Halluzinationen leidet, unter sein Tun und Handeln kommentierenden Stimmen«. Und Leipziger fügt hinzu: »Ohne dass diese Annahme konkret
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