Die Affäre Mollath: Der Mann, der zu viel wusste (German Edition)
Gesetz.
Zu dem Zweck holt die zuständige Kammer eine psychiatrische Stellungnahme ein. Dabei handelt es sich zumeist um eine interne Stellungnahme, also eine aus dem Bezirkskrankenhaus Bayreuth. In dieser Stellungnahme aus dem April 2011 findet sich gleich zu Beginn folgende Feststellung: »Diagnostisch und differenzialdiagnostisch schließen wir uns dem verfahrensgegenständlichen Gutachten vom 25. Juli 2005 des psychiatrischen Sachverständigen an, das von einer wahnhaften Störung […] ausgeht.«
Das hört sich erst mal wenig aufregend an. Und würde bei flüchtiger Lektüre den Eindruck entstehen lassen: alles in Ordnung so. Allerdings nur bei flüchtiger Lektüre. Denn das beschriebene Gutachten aus dem Juli 2005, auf das sich die Stellungnahme des Jahres 2011 bezieht, stammt von Klaus Leipziger. Die Stellungnahme wiederum ist unterzeichnet von einer Stationsärztin und einem stellvertretenden Chefarzt der Bayreuth Bezirksklinik. Sowie, gleich an vorderster Stelle: von Klaus Leipziger, dem Chef der Klinik. Mit anderen Worten: Der Klaus Leipziger des Jahres 2011 und zwei seiner Untergebenen schließen sich dem Klaus Leipziger des Jahres 2005 vollinhaltlich und vollumfänglich an.
Als Gustl Mollath 2009 aus Straubing nach Bayreuth überstellt wird, hat er bereits drei Jahre geschlossene Anstalt hinter sich. Die »besonderen Sicherungsmöglichkeiten« der hermetischer als jede andere Anstalt in Bayern abgeriegelten forensisch-psychiatrischen Klinik in Straubing seien inzwischen nicht mehr nötig, heißt es in einer Stellungnahme der Bayreuther Klinik an das bayerische Sozialministerium. Darin findet sich exemplarisch, wie das im Fall Mollath über Jahre hinweg so läuft zwischen Gericht und Psychiatrie. Man beruft sich gegenseitig aufeinander und bestätigt sich gegenseitig.
Es ist wie mit der Henne und dem Ei. Liest man nur die Dokumente der Justiz, würde man sagen: Die Psychiatrie und ihr Gutachterwesen waren für die Entscheidungen verantwortlich. Liest man die Schreiben aus der Psychiatrie, scheint es ebenfalls eindeutig zu sein: Selbstverständlich ist die Justiz dafür verantwortlich.
Ein Beispiel. Klaus Leipziger hat 2005 das Gutachten erstellt, aufgrund dessen das Gericht 2006 Mollath in die geschlossene Psychiatrie eingewiesen hat. 2009 bezieht sich ebenjener Leipziger auf das Gerichtsurteil, in dem festgestellt worden sei, dass Mollath unter einem Wahn leide. Einen schöneren, einen hermetischeren Zirkelschluss kann man sich kaum vorstellen.
Es geht aber noch weiter. Leipziger schreibt 2009 ans Sozialministerium: »Mit Sicherheit war nach Bewertung des Gerichts jedoch von einer erheblich verminderten Steuerungsfähigkeit gemäß § 21 StGB bei Herrn Mollath auszugehen.« Nach Bewertung des Gerichts? Nun ja: Im Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth lautet der entsprechende Satz: »Damit lägen in sämtlichen geschilderten Fällen die Voraussetzungen des § 21 StGB mit Sicherheit vor.« Will heißen: verminderte Schuldfähigkeit wegen Krankheit. Nur: Das Gericht hat auch diesen Satz nicht etwa im Indikativ gesetzt. Es steht dort eben nicht, dass die Voraussetzungen für verminderte Schuldfähigkeit vorliegen. Es steht dort, dass »damit« diese Voraussetzungen »vorlägen« – und zwar »mit Sicherheit«. Das Gericht beruft sich auf den Gutachter Leipziger. In dessen Gutachten heißt es 2005: »Ohne Zweifel« spreche das Verhalten Mollaths dafür, dass dieser sich zur angeblichen Tatzeit in einem Zustand befunden habe, aufgrund dessen seine »Steuerungsfähigkeit im Sinne des § 21 StGB erheblich beeinträchtigt« gewesen sei.
Sicher ist hier nur eines: dass diese in sich kreisende Selbstbestätigung einer einmal gemachten Hypothese mit dem gemeinhin existierenden Begriff von Sicherheit nichts zu tun hat. Und zwar absolut nichts. Im Schreiben Leipzigers an das Sozialministerium bestätigt sich ein Mensch lediglich selbst: ein Gutachter.
Wer sich tiefer in die Akten dieses Falles vergräbt, stößt auf zahlreiche, für Außenstehende bizarr anmutende Vorgänge und Formulierungen. Einmal heißt es seitens der Bayreuther Bezirksklinik, Gustl Mollath sei im Mai 2009 von Straubing aus in »einer regional zuständigen Maßregelvollzugsklinik« untergebracht worden, weil dies für ihn »günstiger« gewesen sei. Mit anderen Worten: Mollath wurde zu seinem ehemaligen Begutachter Leipziger zurückverlegt, dem Chefarzt der Bayreuther Klinik. Ohne Frage ist eine Verlegung aus einer Hochsicherheitsklinik
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