Die Affäre Mollath: Der Mann, der zu viel wusste (German Edition)
»günstiger« für den Eingewiesenen. Ob eine solche im konkreten Fall aber wirklich auch »günstig« war für Mollath, muss mal dahingestellt bleiben. Wenn ein Chefarzt einen Wahn festgestellt hat, was sollte ihn so schnell dazu bewegen, zu einem späteren Zeitpunkt zu einem anderen Ergebnis zu kommen? Zumal dann, wenn der sperrige Patient Therapien ablehnt und sich weigert, Psychopharmaka zu schlucken. Mit dem Argument, er sei schließlich gesund. Lediglich die Sporttherapie nutzt Mollath, um fit zu bleiben.
Bei Leipzigers Stellungnahme an die Strafvollstreckungskammer liest sich das so: Es sei zu »keinen wesentlichen Veränderungen« gekommen. Mollath sei »unverändert weiterhin der Überzeugung«, dass seine Unterbringung nicht gerechtfertigt sei; dass er ein »Opfer des Bankensystems« sei; und »dass man ihn als unliebsamen Mitwisser aus dem Weg räumen wolle, da er Schwarzgeldverschiebungen, in die seine Ehefrau verwickelt sei, aufdecken wollte«.
Es gelinge nicht, »mit Herrn Mollath in einen konstruktiven Dialog über therapeutische Zielsetzungen seines Aufenthalts zu kommen«. Das muss ein Chefarzt natürlich als Provokation empfinden. Wenn einer partout nicht einsehen will, dass er einem »Wahn« anheimgefallen sein soll, partout an seinen »Überzeugungen« festhält und deshalb partout nicht therapiert werden will, weil er nicht nachvollziehen kann, welche seiner »Überzeugungen« denn da nun wegtherapiert werden sollen – dann ist das aus Sicht eines Nervenarztes einfach nicht »konstruktiv«.
Dass sich Mollath dann auch noch an der falschen Stelle von der Gemeinschaft abnabelt, findet die Klinikleitung einer kritischen Erwähnung wert: Mollath beteilige sich »nicht an Gemeinschaftsveranstaltungen wie Frühstücksgruppe, Weihnachtsfeier oder Ähnlichem«. Auch das wird gegen ihn ausgelegt. Niemand nimmt zur Kenntnis, dass Mollath mit Weihnachten schon sehr lange nichts mehr anfangen konnte, auch lange nicht, bevor er in der geschlossenen Psychiatrie landete. Schon 1976, als Zwanzigjähriger, entsagte er dem »Geschenketerror« und forderte seine Umgebung auf, lieber für Amnesty International zu spenden.
Und zur anderen Absenz: Die Eigenheit, das Frühstück nicht zwanghaft mit anderen einnehmen zu wollen, dürfte Mollath vermutlich mit vielen anderen Menschen teilen. Zumal wenn es sich bei den Mitbewohnern zum Teil um Menschen handelt, die schwere oder gar schändliche Verbrechen begangen haben. Da dürften auch Gesunde keine große Lust auf gemeinsame Unternehmungen verspüren.
Der konsequente Rückzug in den Raum, der im Bezirkskrankenhaus Patientenzimmer heißt und den Mollath »Haftraum« nennt, hat aber noch eine andere Bewandtnis: Im Gespräch hat Mollath immer wieder betont, dass er »sämtliche Reibungsflächen« im Krankenhaus konsequent meide. »Solange ich mich in meinem Haftraum aufhalte, kann mir keiner was anhängen«, sagt Mollath. Schon allein, weil es dann praktisch zu keinerlei Konfrontation mit anderen – seien es Klinikpersonal oder Mitpatienten – komme.
Drei Textseiten sind es, die Klinikchef Leipziger für die jährliche Prüfung der Unterbringung durch die Strafvollstreckungskammer am Landgericht Bayreuth am 20. April 2011 schreibt. Am Ende steht die für Mollath massiv bedrohliche Bewertung, dass »der Sinn und Zweck der Maßregelvollzugsbehandlung bei Herrn Mollath noch nicht erreicht« sei. Er sei »weiterhin weder krankheits- noch behandlungseinsichtig« und lehne »die Zusammenarbeit mit Klinikmitarbeitern« ab. Auch die »Gewähr einer Lockerungserweiterung« habe »zwischenzeitlich leider nicht dazu geführt, einen besseren therapeutischen Zugang zum Patienten zu finden«. Vor allem sei dessen »wahnhaftes Verhalten« im »Laufe der Jahre nicht weniger geworden«, sondern habe sich »aus unserer Sicht eher verfestigt und vom Umfang her erweitert«.
Mollath, so schreibt Leipziger, verharre weiterhin in den Denkschemata, dass »ihm Unrecht geschehe, er Opfer des Bankensystems sei« und dagegen »sowie gegen alle, die ihm, z.B. durch die Unterbringung, unrecht getan hätten, vorgehen müsse«. Mit anderen Worten: Aus fachlicher Sicht des Psychiaters muss dem Gericht die Fortdauer einer Verwahrung hinter weißen Wänden empfohlen werden. In der Stellungnahme von Leipziger werden noch zwei Gutachten erwähnt (Kröber/Pfäfflin), die seine These vom Wahn stützen.
Die Folge: Die Strafvollstreckungskammer Bayreuth schließt sich am 9. Juni 2011 den »in sich
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