Die Affäre Mollath: Der Mann, der zu viel wusste (German Edition)
schlüssigen« Darlegungen des Chefarztes vorbehaltlos an. Gustl Mollath bleibt in der geschlossenen Anstalt. Der nächste Prüfungstermin wird auf den 8. Juni 2012 festgelegt. Das heißt genau ein Jahr später. Eine Beschwerde dagegen verwirft das Oberlandesgericht Bamberg. Im Beschluss des zuständigen Senats wird vieles aus dem Urteil der Strafverfolgungskammer einfach übernommen.
Die Stellungnahme des Jahres 2012 aus dem Bezirkskrankenhaus Bayreuth beginnt mit keiner Überraschung: Leipziger schließt sich dem Gutachter des Jahres 2005 an, sich selbst also. Trotzdem hat sich etwas verändert. Der Chefarzt und eine Oberärztin attestieren Mollath eine »Interessenseinengung« auf »Fernsehen« sowie eine »Beschäftigung mit Verfassen von Anträgen bzw. juristischen und unterbringungsrelevanten Dokumenten«. Da nutzt einer offenbar tatsächlich die so ziemlich einzige Freizeitmöglichkeit, die er hat, das Fernsehen. Und die ihm erst seit zwei Monaten zur Verfügung steht, jedenfalls, was die freie Auswahl der Programme betrifft. Vorher musste Mollath jahrelang im Gemeinschaftsraum fernsehen, allerdings nicht ARD und Arte, was Mollath gerne sieht, sondern das, was die anderen gerne sehen wollten. Überdies: Was sollte einer, der sich zu Unrecht weggesperrt fühlt, auch anderes tun als: Anträge schreiben?
Bei Mollath sei eine »inhaltlich deutliche thematische Einengung auf das Unrechtserleben« zu beobachten. Mit anderen Worten: Da bewegt sich einer, der sich zu Unrecht weggesperrt fühlt, irgendwie thematisch nicht recht vom Fleck. Auch verbal sei der Mann aggressiver geworden; bei ihm herrschten offenbar Gefühle vor wie »Benachteiligung, Verbitterung, überdauernd erlebte Frustration«. Bei im Übrigen deutlich »eingeschränkter Befähigung, soziale Konflikte reif und adäquat lösen zu können«. Das wiederum scheint in dieser Form neu zu sein: Entwickelt sich da etwa einer zurück? Aber: Kann das überhaupt möglich sein bei einer psychiatrischen Rundumbetreuung? Oder vielleicht gerade deshalb?
Dass Mollath sich auf der Station allmählich zum Labileren und nicht unbedingt zu seinem Vorteil entwickelt hat, dafür gibt es zahlreiche Hinweise. Begleiter seines Unterstützerkreises berichten dies. Sie hätten Mollath in der Zeit vor 2012 als entspannteren Menschen kennengelernt. Im Dokument aus dem Bezirkskrankenhaus Bayreuth scheint sich das zum Teil zu bestätigen: Dort wird von zunehmenden Konflikten mit Mitpatienten berichtet, die sich von Mollath provoziert fühlten und sich darüber beklagt hätten, dass er sie beleidige. Mollath scheint dünnhäutiger geworden zu sein. Kein Wunder, nach Jahren in der geschlossenen Psychiatrie und angesichts anderer Umstände.
Die Lebens- und Schlafsituation ist alles andere als komfortabel in Bayreuth. Die Akten der Klinik sprechen von einem »starken Belegungsdruck«. Mollath landet anfangs in einem zum Zimmer umfunktionierten, früheren Therapieraum, der »mit vier Betten ausgestattet« ist. Danach erst kommt er in ein Zweibettzimmer. Wer sich noch einmal vergegenwärtigt, welche besondere Klientel in eine forensische Psychiatrie eingewiesen wird (nicht selten Schwerstverbrecher mit schwerer Persönlichkeitsstörung), der mag ermessen, wie schwer einer dort zur Ruhe kommt auf einem Vier-Bett-Zimmer. Ist so eine Unterkunft geeignet, einen ehedem labilen Menschen eher zu stabilisieren? Oder macht sie ihn noch labiler?
Im Januar 2013 zeigt sich mancher anfangs verblüfft, dass Mollath die Bemühungen der Klinik, ihn in eine andere psychiatrische Klinik zu verlegen, trotz alledem ablehnt. Auch der Direktor des Bezirksklinikums rechtfertigte sich, man habe Mollath eigentlich helfen wollen. Das Vertrauensverhältnis zum Chefarzt, Dr. Leipziger, bestehe offenkundig nicht. Insofern könne er es nur bedingt nachvollziehen, dass die Anwälte Mollaths mit allen juristischen Mitteln gegen eine Verlegung angingen.
Wer sich mit Mollath unterhält in dieser Zeit, hat allerdings kaum Schwierigkeiten, dessen Weigerung zu verstehen: »Ich weiß, wie das ist, in eine andere Klinik überstellt zu werden«, sagt er aus Erfahrung. Man fange dort erfahrungsgemäß wieder ganz von vorne an. Das heißt: möglicherweise wieder in einem Mehrbettzimmer. Vielleicht auch wieder ohne eigenen Fernseher. Das wolle er sich unter keinen Umständen antun. Zumal er sich gerade in dieser Zeit auf ein mögliches Wiederaufnahmeverfahren vorbereiten wollte.
In der Bayreuther Klinik wird diese
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