Die Affen von Cannstatt (German Edition)
Geständnis verführe.
Weber sieht erschrocken aus. Nein, nein!
Sie weiß übrigens nicht, dass ich ihre Tochter bin, erkläre ich ihm. Ich habe es ihr nicht gesagt. Auch weil ich mir nicht hundertprozentig sicher war. Und ich möchte nicht, dass es ihr irgendwer anders sagt. Den Zeitpunkt möchte ich selbst bestimmen.
Das kann ich nachvollziehen, antwortet er. Sie können übrigens erneut einen Antrag auf Einzelunterbringung stellen. Falls Sie das wollen. Dem muss unbedingt stattgegeben werden.
Ich weiß noch nicht.
Er nickt, als verstünde er mich.
//Und plötzlich schiebt er mir etwas über den Tisch zu. Es ist ein daumennagelgroßes Ding, ein Mini-USB-Speicher.
Ich verstehe nicht. Es ist illegal. Onkel Gerald hat es nicht gewagt, mir ein Speichermedium zu verschaffen, obwohl ihn niemand bis auf die Unterhosen filzt.
Was soll ich damit?, frage ich.
Er deutet ein Lächeln an. Man kann der juristisch begründeten Auffassung sein, dass ein Tagebuch mit der privaten Gedankenwelt gleichzusetzen ist und dem besonderen Schutz der Privatsphäre untersteht.
Was passiert, wenn ich ihn nehme? Fällt ein Beil und hackt mir die Hand ab? Will er mich reinlegen? Wird es in einer Woche eine Zellendurchsuchung bei mir geben? Will er mich verführen, das aufzuschreiben, was mir vor Gericht das Genick bricht? Ein Geständnis?
Außerdem – er lächelt schief – hat Lisa mich darum gebeten. Sie ist sich nicht mehr sicher, ob sie bei Ihnen richtig gelegen hat. Und da sie nicht mit Ihnen reden kann, erhofft sie sich auf diesem Wege von Ihnen Ansatzpunkte, denen sie nachgehen kann.
Meinem Computer wurden die Zähne gezogen, sage ich. Die USB-Slots sind verklebt.
Er steht auf. Sie werden einen Weg finden. Unnötig, Sie darauf hinzuweisen, dass es nicht nur unüblich, sondern absolut verboten ist, Speichermedien ins Gefängnis hinein- und herauszuschmuggeln. Sie könnten mich also in erhebliche Schwierigkeiten bringen. Er reicht mir die Hand. Montag in einer Woche komme ich wieder, sagt er. Dann nehme ich mit, was Sie mir übergeben wollen.
Okay. Ich nehme den Speicher.
Haftbuch, 4. Juni
Ich besitze ein Stück Büroklammer, das ich beim Putzen an der Tür der Abteilungsbeamtin aufgelesen habe. Es gelingt mir, damit die Abdeckung vom USB-Slot zu popeln. Jetzt kann ich meine Dateien auf den Mini-Speicher kopieren. Außerdem lösche ich die Passage von Webers Besuch, die ich gerade schreibe, auf der Festplatte (auf sichere Weise natürlich, ohne Spuren zu hinterlassen). So werde ich mit allen Passagen verfahren, die mich oder andere in Gefahr bringen könnten und die deshalb weder die Schlusen noch die Staatsanwältin oder ein Richter lesen sollen.
Das meiste lasse ich aber auf der Festplatte, denn es wissen ja alle, dass ich meine Verteidigung und Tagebücher schreibe. Wenn auf einmal nichts mehr im Laptop zu lesen wäre, würde man ihn mir vermutlich wieder wegnehmen.
Lisa wird es lesen. Lesen müssen. Dann sieht sie, was sie angerichtet hat. Und sollte sie tatsächlich einen Ansatzpunkt finden, wie sie mich hier rauszuholen kann, umso besser. Ich muss nicht jetzt schon wissen, ob ich ihr dann verzeihen werde.
Ich grinse vor mich hin. Was ich jetzt habe, nennt man eine Straße nach draußen. Üblicherweise dient sie dazu, über Gefängnisangestellte Drogen einzuschmuggeln. Und meine Straße nach draußen ist sogar ein Oberstaatsanwalt.
Den USB-Speicher verstecke ich, während meine Mutter hinter dem Vorhang auf dem Klo sitzt, draußen im Fensterrahmen unter einem lockeren Stück Zement in einer Ritze zwischen zwei Ziegeln.\\
Entlang der Elbe werden Dämme gebaut. Man redet jetzt von einem Jahrtausendhochwasser. Ich fühle mich seltsam behütet. Hier kann uns nichts treffen. Eine sterile Sicherheit. Sogar von Gefahren sind wir ausgeschlossen. Das macht mich unruhig.
Haftbuch, Mittwoch, 5. Juni
Mit meiner Mutter habe ich mich arrangiert. Sie hat mit mir zusammen den Tisch frei geräumt, an dem ich nun sitze und schreibe. Ich lasse sie im Fernsehen gucken, was sie will, meistens Shows, alberne Krimis und Dokusoaps mit lauten Werbeunterbrechungen. //Wenn Jo aufsteht, um hinterm Vorhang aufs Klo zu gehen, mache ich das Fenster auf, hole den USB-Speicher aus seiner Ritze, stöpsle ihn ein und kopiere auf ihn, was ich geschrieben habe. Danach lösche ich die Passagen aus meinem Haftbuch, die die Anstaltsordnungswächter auf den Plan rufen würden. Damit ich keine übersehe, kennzeichne ich sie mit // und \\. So kann ich sie
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