Die Affen von Cannstatt (German Edition)
gewesen sein. Und immer wieder verlor Lisa die Spur, weil Jo – später zusammen mit einem deutschen Zimmermann – in einen anderen Küstenort weitergezogen war. Am schwierigsten wurde es, den deutschen Zimmermann zu identifizieren, weil sein Name zu denen gehört, die Spanier nur schlecht aussprechen können: Dieter Vieregg. Schließlich tat Lisa in Málaga ein älteres deutsches Ehepaar auf, dessen Ferienhaus die beiden – inzwischen Eltern eines Sohnes – eine Weile gehütet und instand gesetzt hatten. Und über die kam sie an eine Telefonnummer in Amtzell.
Sie rief die Nummer an und fragte, als sich eine Frau meldete, die nicht Vieregg hieß, nach irgendwelchen Schmidts. Die wohnen hier nicht, bekam sie zur Antwort, und haben hier auch nie gewohnt, denn das Haus gehörte bis vor ein paar Jahren einem Ehepaar Vieregg. Er ist inzwischen verstorben, sie im Pflegeheim. Der Sohn hat das Haus verkauft, weil er ein eigenes Haus mit Schreinerei besitzt.
Mit diesen Informationen fuhr Lisa Anfang Mai nach Amtzell, ein Städtchen bei Wangen im Allgäu, um sich unauffällig der Familie zu nähern. Sie sah die Schreinerei, zwei Söhne, einen Hund und eine Frau, die vom Alter her als meine Mutter in Frage kam, machte heimlich Fotos und stahl für eine Genprobe nachts ein Paar Gartenhandschuhe, die diese Frau einige Stunden angehabt hatte.
Diese Informationen übergab sie der Polizei. Die konnte die Identität der Frau als meine Mutter zweifelsfrei feststellen, holte den noch bestehenden internationalen Haftbefehl aus den Akten, nahm die Frau in Haft und brachte sie nach Gotteszell.
Lisa wirkt vielleicht zuweilen etwas wurstig, sagt Weber mit hörbarem Stolz, aber unterschätzen Sie ihre Findigkeit und Hartnäckigkeit nicht. Sie wird in Ihrer Sache Hinweisen nachgehen, für die die Polizei weder die Zeit noch das Personal noch die Einsicht aufbringt.
Haftbuch, Dienstag, 11. Juni
Vielleicht habe ich Hoffnung geschöpft. Endlich kümmert sich jemand um meine Sache. Wenn auch dieselbe, die mich hier hineingebracht hat. Habe ich eine Wahl? Und selbst wenn die beiden mich täuschen, so ist es das wert, sage ich mir. Für den Funken Hoffnung, der mir den Kopf hell und optimistisch macht und mich stärkt für die Einöde des Alltags. Unterbrochen von Panik. Viel Zeit ist nicht mehr bis Prozessbeginn.
Bis zu seinem Ende allerdings schon. Denn zu meinem Entsetzen hat mir Onkel Gerald klargemacht, dass mein Prozess in einundzwanzig Tagen beginnt, aber höchstwahrscheinlich unterbrochen wird, wenn in Baden-Württemberg Sommerferien sind. Es sind zwar zehn Prozesstage vor den Ferien angesetzt, aber auch vier weitere Tage nach den Ferien im September vorsorglich reserviert. Darf man so mit mir und meiner Lebenszeit umgehen? Hätte man den Prozessbeginn nicht zwei Wochen vorher festlegen können? Ich heule fast.
Onkel Gerald versucht mir zu erklären, dass für eine Große Strafkammer die Zeitpläne von drei Berufsrichtern und zwei Schöffen in Einklang gebracht werden müssen.
Aber Himmel noch mal: Ich soll sechs Wochen auf mein Urteil warten? Und wenn ich dann freigesprochen werde?
Onkel Gerald sieht nicht so aus, als hielte er das für eine Möglichkeit, über die wir ernsthaft nachdenken müssen.
Haftbuch, Mittwoch, 12. Juni
Auch Yvonne geht es nicht gut. Auch sie wartet viel zu lang, bis es losgeht, so oder so, mit der Haft oder einer neuen Verhandlung.
Wir unterhalten uns über Kunstgeschichte und Literatur. Sie erklärt mir Epochen und Stile, die sie sich in Vorbereitung auf ihr Fernstudium erarbeitet, ich erzähle den Inhalt von Büchern nach, die ich gelesen habe und lese. Damit wir Gotteszell gebildeter verlassen, als wir reingekommen sind, sagt sie und lacht.
Unser Knastkloster wurde im dreizehnten Jahrhundert von Benediktinerinnen gegründet. Gotisch also. Mit der Säkularisierung Anfang des 19. Jahrhunderts wurde es, erzählt mir Yvonne, zuerst württembergische Strafanstalt für Männer. Das älteste Gefängnis in Baden-Württemberg. Dann wurde es Landesfrauenanstalt. Die Nazis richteten eine Schutzhaftabteilung ein, das erste Konzentrationslager für Frauen in Württemberg. Zum Ende des Zweiten Weltkriegs saßen hier sechshundert Frauen. Derzeit sind es nur noch die Hälfte. Viele Gebäude stehen unter Denkmalschutz. Den Kreuzgang gibt es auch noch.
Ich sehe Yvonne zwar unter der Woche ständig, aber reden können wir immer nur während der einen Stunde Hofgang und jeweils ein paar Minuten über den Arbeitstag
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