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Die Affen von Cannstatt (German Edition)

Die Affen von Cannstatt (German Edition)

Titel: Die Affen von Cannstatt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
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verteilt. Dass wir alleine miteinander reden, ist nicht vorgesehen. Es geht nur zwischen Tür und Angel, ein kleines Lächeln, »Na, du Schöne«, ein kleiner Streichler übers Gesicht, ein Händedruck.
    Ich möchte gern mehr Zeit mit ihr verbringen. Deshalb habe ich Antrag auf Umschluss zu Yvonne gestellt. Wenn unsere zuständigen Richter das genehmigen, dann könnte ich sie auch mal für eine Stunde auf ihrer Hütte besuchen. Heute hat mich nun die Abteilungsbeamtin in ihr Büro gerufen. Sie ist eine mütterliche Frau, die blitzschnell von herzlich zur Drohung umschalten kann: Das wird Konsequenzen haben.
    Frau Feh, sagt sie, Sie haben Antrag gestellt auf Besuchsgenehmigung auf der Zelle von Frau Graubner. Sie schaut mich prüfend an. Wartet auf meine Erklärung. Sie warten immer darauf, dass wir überstürzt losreden und ihnen Ansatzpunkte geben, die es ihnen erlauben, Konsequenzen zu ziehen.
    Wir haben uns angefreundet, sage ich. Wir können uns gut miteinander unterhalten.
    So, Sie können sich gut unterhalten?
    Erwartet sie eine andere Antwort? Ich stehe lächelnd an der Bürotür. Hast du Angst?, denke ich. Ja, die umstürzlerische Dynamik der Liebe bedroht diejenigen, die alles unter Kontrolle haben wollen.
    Ihre lauteren Absichten in allen Ehren, sagt sie, aber ich muss Sie warnen. In Ihrem Interesse. Und zwar vor jeglichem persönlichen Verhältnis zu Ihren Mithäftlingen. Im Gefängnis suchen einige Frauen in Ermangelung regulärer Sexualkontakte die Nähe zu Mithäftlingen, insbesondere unerfahrenen Frauen …
    Denkt sie etwa, ich bin unerfahren? Nach fast einem halben Jahr Knast?
    Und nicht selten, erklärt sie mir, kommt dabei Gewalt zur Anwendung. Gewisse Praktiken kann man nicht unterbinden, das ist ihr bewusst, aber wo die Dinge zu offensichtlich werden, muss rigoros eingeschritten werden.
    Aber uns in der Dusche einschließen, sage ich.
    Ob es da Vorkommnisse gegeben hat, fragt sie.
    Nein, antworte ich. Ich erzähle ihr nicht von den Blicken, nicht von einem schnellen bösen Griff zwischen die Beine oder an die Brust einer anderen. Oder vom Schaumgeschmuse zweier Mädchen unterm gemeinsamen Duschkopf. Aber ich erzähle, dass die Rechtsradikale kürzlich Iliana mit Seife beworfen hat. Überhaupt beschimpft sie ständig Frauen, die ausländisch aussehen. Wieso unterbindet das niemand?
    Ich habe – aber das erzähle ich nicht – in der Dusche die geworfene Seife in mein Handtuch gewickelt und damit zugeschlagen. Auf den nackten Rücken der Rechtsradikalen. Mach das noch einmal, habe ich sie angeschrien. Komischerweise hat es Eindruck gemacht, auf sie genauso wie auf die anderen. Seitdem schreit die Nazisse nicht mehr herum, wenn ich dabei bin. Nur raus in die Nacht brüllt sie ohne Ende: Vergasen, an die Wand stellen, die Türkenhuren, nach Deutschland kommen, Sozialhilfe abgreifen, stehlen und betrügen und sich im Knast durchfressen. Fick dich, schreit es zurück. Es ist immer laut in den Nächten, vor allem, seit es draußen wärmer geworden ist. Sie unterhalten sich von Fenster zu Fenster.
    Sie werde dem nachgehen, sagt die Grüne.
    Da steht sie in ihrem Büro mit Zugriff auf das Telefon – vielleicht hat sie Internet – und fühlt sich mir moralisch und sozial überlegen, vielleicht sogar intellektuell.
    Nun ja, sagt sie unerwartet nachgiebig, vorbehaltlich der richterlichen Genehmigung wird es von ihrer Seite keine Einwände gegen einen Umschluss auf die Zelle von Frau Graubner geben. Aber entscheiden wird die Chefin, ob das mit der Anstaltsordnung vereinbar sei.
    Jaja, die Anstaltsordnung.
    Andrea hat mir mal einen taz-Artikel gegeben, in dem steht, dass das Wort Umschluss von den RAF-Terroristen erfunden wurde, von Andreas Baader. Es ging nicht nur in den Knastjargon, sondern auch ins amtliche Vokabular des Strafvollzugs ein. Es war Luxus-U-Haft, was die hatten. Sie konnten sich treffen, Männer und Frauen, sie bewohnten alleine eine Zelle für drei oder fünf Gefangene. Sie saßen den ganzen Tag zusammen auf dem Gang herum. Sie durften sich über ihr Verfahren beraten, obwohl genau das bei unsereiner streng verboten ist. Solche Angst hatte man, bei denen was verkehrt zu machen. In meinem Fall hat niemand Angst, etwas verkehrt zu machen.
    Inzwischen hat Yvonne Andreas Zelle gereinigt. Sie hat Haftverschonung bekommen. Ganz plötzlich. Nur von wenigen hat sie sich noch verabschieden können. Wir hören, sie sei jetzt nicht mehr wegen Mordversuchs angeklagt, nur noch wegen Widerstands gegen

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