Die Ahnen der Sterne: Roman (German Edition)

alles gemacht, verstehst du? Halb alles gemacht, was sie von mir verlangt haben.«
    Irenya war abgemagert, ihr Gesicht abgehärmt, ihr blondes Haar strähnig. Ihre Augen wirkten gequält.
    »Julia? Bist du das?«
    »Ja … mehr oder weniger.«
    »Ich kann … ich habe es gespürt, als Thorold das Handtuch geworfen hat. Ich habe gespürt, wie er davongeglitten ist.« Die Falten ihres Gesichts vertieften sich. »Wie er losgelassen hat …«
    Der scharfe Schatten des Verlusts legte sich auf Julia, doch es war eher düstere Duldsamkeit als wahre Trauer.
    »Irenya«, sagte sie. »Ich muss dich nach der Aktivierungsprozedur und der Startsequenz fragen …«
    »… hat einfach losgelassen und ist fortgegangen … hat losgelassen und …«
    »Bitte, Irenya, du musst mir helfen …«
    Irenya schüttelte traurig den Kopf, dann blickte sie auf ihre Hände nieder.
    »Sie hat mich rausgeworfen, Julia. Hat gemeint, ich wäre nicht konzentriert genug bei der Sache. Deshalb bin ich hier im Turm, damit ich nicht …« Sie zeigte zum Fenster.
    Julia richtete sich auf und trat ungeachtet des Regens an die Fensteröffnung. Hinter der Vorderfront des Hauses war ein breites Flachdach, darauf standen in zwanzig Reihen von jeweils fünf Exemplaren angeordnet identische Statuen. Anscheinend stellten sie ein massiges Wesen dar, das ein Bündel von Stäben gen Himmel reckte.
    »Ist schon ein Anblick, findest du nicht? Nette Anspielung, hab ich mir gedacht.«
    Beim Klang der wohlbekannten, verhassten Stimme wandte Julia sich wieder um. Talavera stürzte sich mit ausgestreckten Armen auf sie. Durch die Wucht des Aufpralls wurde sie nach hinten und durchs Fenster geschleudert …
    Plötzlich lag sie wieder auf der Liege in der Großen Nabe; das Implantat hatte sie aus dem Metakosmos herausgeholt, nachdem eine Sicherheitsschaltung aktiviert worden war. Das VR-Visier saß noch immer schief auf ihrem Kopf. Sie ruckte ein paarmal mit dem Kopf hin und her, dann löste es sich endlich.
    »Okay, jetzt kannst du besser sehen«, ertönte irgendwo hinter ihr Talaveras Stimme. »Das ist gut – ich möchte dir nämlich etwas zeigen.«
    Die Chaurixa-Anführerin trat neben Julias Liege und blickte kopfschüttelnd auf sie herunter. »Ganz schön schlau«, meinte sie. »Die Ablenkungs-Remotes haben meine Jungs richtig auf Trab gebracht. Haben wie verrückt nach nichtvorhandenen Konstrukt-Droiden gesucht. Währenddessen hat eine dieser raffinierten Sonden dich über irgendein Subsystem eingespeist, und du bist in deinen alten Leichnam zurückgekrochen. Nur dass du jetzt als fraktalisiertes Bewusstsein eine AI in deinem eigenen Kopf bewohnst! Du meine Güte, wenn das keine Ironie des Schicksals ist – zumal ich dein Implantat inzwischen von allen Außenverbindungen abgeschnitten habe.«
    »Okay, du bist total wahnsinnig, das wäre also geklärt«, flüsterte Julia mit rauer Stimme. »Was gedenkst du, mir als Nächstes anzutun?«
    »Hmm, seit unserer letzten Begegnung bist du ganz schön reizbar geworden.« Talavera lachte glucksend, doch in ihrem Blick lag ein kaltes Funkeln. »Dir ist bislang entgangen, dass dies alles einen rationalen Zweck verfolgt. Im Kosmos gibt es eine Ökologie der Größe – die Evolution schlägt viele Richtungen ein, und nur wenige vermögen den Einflüssen der Auflösung zu trotzen. Darum geht es, und du hast die Ehre, dabei zuschauen zu dürfen …«
    Sie brach ab, als am Ende des Röhrengangs ein Henkayaner mit drei Waffen auftauchte.
    »Wir haben ihn«, knurrte er.
    »Bring ihn her.«
    Talavera kicherte, als ihr Handlanger fortging, ein hohes, mädchenhaftes Lachen. Julia wusste inzwischen, dass darauf meist eine ausgesuchte Grausamkeit folgte.
    »Schade, dass du dein Kommen nicht angekündigt hast«, sagte Talavera. »Dann hätte ich für Getränke und Snacks gesorgt, für angenehme Beleuchtung und dezente Musik.« Sie hob dramatisch die Arme. »Aber – wenigstens sind meine liebsten Reisegefährten erschienen, um mit mir dieses historische Ereignis zu feiern … geschätzter Kao Chih! Komm her zu uns.«
    Der tonnenbrüstige, vierarmige Henkayaner war zusammen mit einem Menschen zurückgekehrt, einem schwarzhaarigen jungen Mann, bekleidet mit einem orangefarbenen Zweiteiler. Die Hände hatte man ihm auf den Rücken gefesselt, seine Gesichtszüge waren asiatisch, und er hatte einen verschrammten Unterkiefer und aufgeplatzte Lippen. Während der Henkayaner ihn vor sich herstieß, zog Talavera einen Stuhl heran und zeigte darauf.