Die Ahnen von Avalon
Frau und Hebamme vom Heiligen Berg. Sie besitzt die Sehergabe.«
»Eine Tochter«, flüsterte Micail.
»Mit dem Namen Domara. Benannt nach Eurer Mutter, soviel ich weiß. Ich kenne ihren Tempelnamen nicht. Sie wurde zur Wintersonnenwende geboren, im ersten Jahr. Sie ist fünf geworden und ein richtiger kleiner Schatz.«
Micail, der im Kopf nachrechnete, hörte ihr kaum zu. Der Zeitpunkt passte, wenn Tiriki in den letzten Tagen vor dem Untergang von Atlantis empfangen hatte. Doch wie war das möglich… wenn seine Saat in all den friedlichen Jahren nicht aufgegangen war, wie konnte sie ausgerechnet mitten in einer Katastrophe ein Kind austragen?
Ohne etwas von seinem inneren Aufruhr zu bemerken, redete Damisa weiter. »Selasts Kind kommt in diesem Sommer auf die Welt, Ihr seht also, wir haben einige Kinder auf dem Heiligen Berg. Aber ich kann mir vorstellen, dass es auch bei Euren Leuten etliche Geburten gegeben hat…«
»Ich weiß nicht«, murmelte er. Solche Dinge zu bemerken hätte seinen Schmerz nur verstärkt, wie ihm plötzlich zu Bewusstsein kam. Über seine jetzigen Gefühle war er sich nicht so richtig im Klaren. Stolz? Freude? Entsetzen? Es war einerlei.
Ich habe ein Kind.
Offenbar, dachte Damisa, während sie in dem Sessel Platz nahm, den Prinz Tjalan ihr angeboten hatte, ist dies für mich ein Abend der Befragungen. Micail hatte sie so lange von der Rückkehr in die Unterkünfte der Priesterschüler abgehalten, bis ein Diener kam, um sie in den Innenhof des Prinzen zu holen, der in der Mitte des Palasts gelegen war. Da es keinen Berg gab, an den die Maurer eine formgerechtere Festung hätten anbauen können, hatten sie stattdessen Mauern aus Steinen errichtet und die Wände verputzt.
Damisa ließ sich in die Polster sinken und seufzte, als sich ihr Körper daran erinnerte, wie sich so viel Weichheit anfühlte. Auf dem Heiligen Berg gab es zwar ein paar Hängematten, aber ansonsten nur harte Hocker und viele unbequeme Bänke, die aus zurechtgeschnittenen Baumstämmen grob behauen worden waren. Es war lange her, seit sie in einem echten Sessel gesessen hatte. Mit verklärtem Blick betrachtete sie die Wandbehänge mit den alkonischen Mustern.
Ein schweigender Diener stellte einen eleganten Flakon und zwei filigran geschliffene Gläser auf einen grünen und goldenen Tisch und zog sich zurück. Ich träume, dachte sie. Die letzten Jahre waren ein böser Traum, und ich wache unbeschadet wieder zu Hause auf… Doch sie konnte die verbitterten Züge in Prinz Tjalans Gesicht nicht übersehen, ebenso wenig wie die silbernen Strähnen, die inzwischen sein schwarzes Haar durchzogen.
Eine blassgoldene Flüssigkeit ergoss sich mit leisem Gluckern aus dem Flakon in die Gläser. »Auf was sollen wir anstoßen?«, fragte der Prinz und schlug sogleich vor: »Auf das Goldene Reich? Die Sieben Hüter?«
»Die Hoffnung des neuen Landes?«, antwortete sie ein wenig schüchtern und näherte ihr Glas dem seinen.
»Ha! Ja!« Tjalan grinste hocherfreut. »Du bist wirklich mit mir verwandt!«
Der Likör schmeckte trügerisch süß, doch sie spürte, wie er sich den Weg durch ihre Kehle brannte.
»Das ist Raf Ni'iri«, warnte Tjalan sie, »also sei vorsichtig. Ich muss immer wieder feststellen, dass er ein wenig stärker ist, als selbst ich es erwartet habe.« Er lehnte sich nun ebenfalls in seinem Sessel zurück und wiegte das Glas zwischen den feingliedrigen Fingern, um das köstliche Aroma einzuatmen. Und dabei betrachtete er sie mit einem beinahe zweideutigen Lächeln, das ihr nicht entging… Damisa spürte, wie ihr die Wärme in die Wangen stieg, und war sich nicht sicher, ob das von ihrer Verlegenheit oder der Wirkung des Likörs herrührte.
»Meine Liebe, du hast dein Versprechen mehr als erfüllt«, sagte der Prinz schließlich. »Du bist von einer zarten Knospe zu einer bezaubernden, blühenden Frau herangereift. Und du verstehst es, einen passenden Trinkspruch vorzuschlagen, nebenbei bemerkt!«
Sie spürte, wie sie noch mehr errötete. Es war seltsam: Wenn Reidel solche Dinge sagte, glaubte sie meistens, dass er sie auch so meinte. Bei Tjalan hingegen… Sie schüttelte den Kopf. Natürlich war das nichts als höfliches Gerede.
»Du denkst, ich will dir nur schmeicheln, nicht wahr?« Tjalan schmunzelte über ihr Unbehagen. »Nun, wenn ich dich nach Belsairath mitnehme, meine Liebe, dann kleiden wir dich so, wie es einer Prinzessin des Königshauses ansteht, und dann wirst du wahre Schmeicheleien
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