Die Ahnen von Avalon
unter Feinden befände?
Als Ardral sich der Tür zuwandte und zum Gehen anschickte, erhob sich Micail, um ihm zu folgen, doch Tjalan fasste ihn sanft am Arm.
»Wie mir scheint, bekümmern dich die Ereignisse des Abends.«
Micail sah ihn starr an; er wollte sich nicht in weitere Streitgespräche hineinziehen lassen. Das Aufgebot an Kraft, das ihm soeben abverlangt worden war, hatte ihn schwer mitgenommen, auch wenn es seinen Körper gestärkt hatte, und er traute seiner Selbstbeherrschung nicht mehr.
»Diese Leute können schwierig sein - wie ich selbst aus schmerzlicher Erfahrung weiß«, fuhr Tjalan fort. Seine einfühlsamen Worte taten ihre Wirkung, und Micail merkte, wie er sich ein ganz klein wenig entspannte. »Vergiss nicht, sie sind alt«, fuhr der Prinz ernst fort und warf einen Seitenblick auf Ardral. »Ach, wären sie im Herzen doch so jung wie du. Haladris und Mahadalku insbesondere…« Der Prinz lächelte und wandte seine ungeteilte Aufmerksamkeit wieder Micail zu. »Sie waren daran gewöhnt, für den Bau dieses Tempels verantwortlich zu sein. Es schadet nicht, wenn man ihnen jetzt Gehör schenkt. Wenn unser ganzes Volk wieder vereint sein wird, wirst du derjenige sein, der im neuen Tempel herrscht. Diese Stellung war schon immer deine Bestimmung.«
Aber kann ich einer solchen Verantwortung überhaupt gerecht werden?, fragte sich Micail, während er und Ardral nun endlich den Raum verließen und Tjalan mit seinem Thron, seinen Wächtern und seinen Träumen von einem neuen Reich zurückblieb. Ist das die Bestimmung, die Rajasta für mich vorausgesagt hat?, dachte er. Es ist, als ob ich zwischen hungrigen wilden Tieren stünde und zu entscheiden versuchte, welches mich wohl verspeisen wird.
Er gab ein paar Höflichkeiten von sich und erlaubte Ardral, ihn bis zur Pforte zu begleiten, doch gleich nachdem der Oberste Hüter in die Schatten von Tjalans Festung zurückgekehrt war, machte Micail kehrt und tat es ihm nach, allerdings schlug er einen anderen Weg ein.
Nach einigem Suchen fand er Reidel, der sich mit einem seiner Männer in der Halle unterhielt. Als er die beiden fragte, was sie dort täten, deutete Reidel lediglich wortlos durch die Tür, wo Damisa am Kamin saß, umgeben, wie es aussah, von den meisten der Priesterschüler und Zöglinge. Micail zögerte einen Augenblick. Sie alle wirkten so jung, so voller Kraft und Hoffnung. Hatte er das Recht, sie mit seinen Ängsten zu verunsichern? Aber er musste Bescheid wissen.
Sie wandten ihm die Gesichter zu, als er in den Lichtschein trat. Er las darin Freude über sein Erscheinen und auch fragende Erwartung, und sogar ein überraschendes Mitgefühl in Elaras warmem Blick - aber andererseits hatte sie stets ein feines Empfinden dafür, wenn er überarbeitet war. Doch es war Damisa, auf die sich seine Aufmerksamkeit richtete.
»Würdest du…?« Er räusperte sich. »Damisa, ich möchte dich nicht vorzeitig von deinen Freunden trennen, aber ich wäre dir sehr dankbar, wenn du mich für eine Weile begleiten würdest.«
»Selbstverständlich…« Mit einer geschmeidigen Bewegung war sie auch schon auf den Beinen. »Ihr werdet bestimmt alle Neuigkeiten erfahren wollen, und ich werde später noch reichlich Zeit haben, um mich mit diesen…« - sie legte eine kleine Pause ein und grinste - »… weniger heiligen Dienern des Lichtes zu unterhalten.«
Als sie sich zum Gehen wandten, spürte er wieder den beobachtenden Blick des Fremden, dieses Reidel, auf sich ruhen, und er wäre beinahe stehen geblieben, um dem ehemaligen Schiffskapitän zu versichern, dass er das Mädchen sicher zurückzubringen gedachte. Doch Reidel war zwar jetzt Priester, aber er stand im Rang sogar noch unter einem Priesterschüler. Sicher hatte er kein Recht, die Handlungsweise eines Heiligen Hüters infrage zu stellen.
»Dieser junge Mann da«, sagte Micail gedankenverloren, als er mit Damisa davonging, »dieser Reidel… Er scheint mir einen seltsamen Drang zu haben, dich zu beschützen. Befürchtet er etwa, ich könnte dir Schaden zufügen?«
»O nein!«, rief Damisa aus, wobei sie sich halb umdrehte, um einen Blick hinter sich zu werfen. »Ich muss mich für ihn entschuldigen, Hoher Herr. Er bildet sich ein, mich zu lieben.«
»Doch du erwiderst dieses Gefühl nicht?« Micail nickte der Wache zu, als sie durch die Pforte traten und den Pfad in Richtung Fluss einschlugen. Der Regen hatte aufgehört, und die Sonne ging zwischen Wolkenstreifen unter, die wie Flammenbanner
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