Die Ahnen von Avalon
ihre Hand fasste nur in kalte Wolle. Dann schwankte der Boden unter ihr, und sie spannte wie schon so oft alle Muskeln an, um sich für einen neuen Erdstoß zu wappnen. Aber nein, das war nur ein sanftes, wiegendes Schaukeln. Kein Grund, sich zu fürchten. Erschöpft sank sie auf das harte Lager zurück. Die wollenen Winterdecken waren ein Segen. Ihre Lider schlossen sich wieder.
Es war nur ein Traum, versicherte sie sich, ausgelöst durch den kühlen Wind, das offene Fenster…
Wie war sie nur auf den Gedanken gekommen, es wäre bereits Frühling, die Katastrophe wäre ausgebrochen - und sie und Micail wären irgendwie auf verschiedenen Schiffen gelandet? Ein Glück, dass wir in Wirklichkeit nebeneinander liegen, wie es sich gehört, sagte sie sich.
Träume konnten so töricht sein. Lächelnd drehte sie sich um und suchte eine bequemere Lage. Sie fühlte sich schwindlig, und ihr war immer noch kalt. Unter den Decken spürte sie etwas Hartes… und dann hörte sie ganz in der Nähe jemanden schluchzen.
Das eigene Unbehagen ließ sich unterdrücken, aber wenn ein anderer litt… Tiriki zwang sich, die Augen zu öffnen, setzte sich auf und blinzelte ins Halbdunkel. Ringsum lagen schlafende Menschen. Dahinter zeichnete sich vor hohen schwarzen Wellen die schmale Reling ab.
Es war kein Traum gewesen. Sie war auf einem Schiff.
Während sie sich noch umsah, begann irgendwo vorne am Bug jemand zu singen:
» Nar-Inabi, Sternenbildner
Verströme deine Gaben… «
Sie horchte auf. Weitere, ebenfalls unsichtbare Sänger fielen ein.
» Leuchte unseren Segelschwingen,
Die über die Wasser uns tragen.
Denn fremd sind uns die Winde hier.
Einfache Seeleute, das sind wir,
Nar-Inabi, Sternenbildner,
Zeige uns deine nächtliche Pracht… «
Das Lied war so schön, dass ihr für einen Moment leichter ums Herz wurde. Die Sterne zeigten sich zwar nicht, doch was hier auf Erden auch geschah, sie blieben fest am Himmel, schwammen im All, so wie ihr Schiff hier auf dem Meer schwamm. Sternenvater, Herr des Meeres, beschütze uns!, flehte ihre Seele und suchte in der unruhigen Bewegung des Schiffes nach der tröstlichen Kraft der göttlichen Arme.
Ob der Gott sie gehört hatte, wusste sie nicht, sie jedenfalls hörte immer noch dieses Weinen. Dicht neben ihr lag eingemummt eine Gestalt. Behutsam zog sie die Decken zurück, bis sie Elis' junges Gesicht erkannte. Das Mädchen schlief fest, sein schwarzes Haar war zerzaust, und es schluchzte im Traum.
Armes Kind - wir haben beide unsere Gefährten verloren. Tiriki drängte den eigenen Kummer zurück, bevor er sie überwältigen konnte. Nein, ermahnte sie sich streng. Aldel werden wir niemals wieder sehen, aber Micail lebt! Das spüre ich.
Sie strich Elis liebevoll über den Kopf, bis das Mädchen ruhiger wurde. Dann rückte sie ein wenig von ihr ab und stand auf. Sie fröstelte in der steifen Brise, und von dem sanften Schaukeln wurde ihr übel. Die Bilder des Traums verfolgten sie noch immer. Um sie abzuschütteln, spähte sie angestrengt über die Reling auf das nebelverhangene Meer. Auf dem Kielwasser des Schiffes lag blutig rot der Widerschein eines mächtigen Feuers, das hinter dem Horizont loderte. Eine riesige Wolke aus Rauch und Asche verdeckte den Himmel und die Sterne.
Das ist nicht der Sonnenaufgang, dachte sie plötzlich. Das Feuer kam von Ahtarrath. Die Insel lag in den letzten Zügen, aber sie hatte den Kampf gegen die See noch immer nicht aufgegeben.
Als das unheimliche Licht stärker wurde, erkannte sie Damisa, die an der Reling stand und gedankenverloren auf die fernen Flammen starrte. Tiriki wollte zu ihr gehen, aber Damisa wandte sich ab und zog abwehrend die Schultern hoch. Vielleicht gehörte ihre Schülerin zu den Menschen, die es vorzogen, in ihrem Schmerz nicht gestört zu werden. Warum hatte sie selbst überhaupt Damisas Gesellschaft gesucht?
Um dem Mädchen zu helfen oder um nicht allein zu sein?
Sonst kauerten zumeist Fremde an Deck, aber nicht weit entfernt kuschelten sich Selast und Iriel wie zwei Kätzchen aneinander, und Kalaran lag in Beschützerpose daneben und schnarchte.
Mittschiffs erteilte jemand mit ruhiger Stimme Befehle; wenig später kam Reidel mit einer Laterne in der Hand in Sicht. Er war barfuß und schritt fast lautlos über die Holzplanken. Sie nickte ihm mechanisch zu. Er schien seit gestern um zehn Jahre gealtert zu sein. Wie alt mag ich inzwischen wohl aussehen?
Reidel beeilte sich, den Gruß zu erwidern, doch bevor sie auch nur
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