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Die Ahnen von Avalon

Die Ahnen von Avalon

Titel: Die Ahnen von Avalon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Zimmer Bradley , Diana L. Paxson
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geschlafen hatte. Der Tag war angebrochen, und auch das hatte nach den Schrecken der vergangenen Nacht wohl niemand zu hoffen gewagt. Allerdings war das Tageslicht so matt, dass man kaum etwas sehen konnte. Chedan hörte deutlich das ständige Knarren des hölzernen Rumpfes, das Glucksen des Wassers unter dem Bug und die Schreie der Seevögel, die wie Korkrindenstücke auf dem Wasser schaukelten, doch zwischen Himmel und Meer hing ein feuchter Nebel, und sie fuhren wie durch eine andere Welt.
    Der Magier hatte auf seinen Wanderungen viele Gefahren bestanden, aber er konnte sich nicht erinnern, sich jemals so unwohl gefühlt zu haben. Der Rücken schmerzte, weil er in unbequemer Haltung geschlafen hatte, und in seinem Ellbogen steckte ein Holzsplitter. Das kommt davon, wenn man sich nicht unter Deck begibt, schalt er sich selbst und zog ihn heraus. Er wünschte, seine lebenslange Erfahrung könne ihm jetzt helfen, die neue Heimat zu finden.
    Er seufzte tief auf, gähnte ausgiebig und zog die Beine an, als vier Matrosen die obere Hälfte des Großmasts an ihm vorbeitrugen. Die Männer waren trotz der morgendlichen Kühle schweißüberströmt. Man hatte die untere Masthälfte aus der Halterung genommen und die beiden Bruchstücke so zugesägt, dass sie sich nahtlos aneinander fügten. Wenn man sie nun mittels einer Schiene zusammenhielte und mit Tauen festzurrte, könnte das Ganze stabil genug sein, um wieder ein Segel zu tragen.
    Vorausgesetzt, der Wind wurde nicht zu stark und keine Naturkatastrophe vollendete, was längst verstorbene Magier begonnen hatten… Chedan seufzte. Pah! Trübe Gedanken an einem trüben Tag. Sehr vernünftig von Reidel, seine Männer beschäftigt zu halten. Er zog sich zum Stehen hoch, ließ sich aber gleich wieder auf eine der Vorratskisten sinken, die in Reihen hintereinander auf den Decksplanken festgeschraubt waren.
    Während er seinen schmerzenden Ellbogen massierte, sah er, wie sich Iriel übertrieben vorsichtig zwischen zerbrochenen Kisten und herumliegenden Gegenständen über das Deck tastete. Die dunklen Ringe unter ihren Augen verrieten, wie erschöpft sie war, aber sie hatte ein tapferes Lächeln aufgesetzt. So viel Entschlossenheit erwärmte das Herz vielleicht mehr als die Schale mit dem dampfenden Getränk, die sie so vorsichtig in beiden Händen hielt, dachte Chedan bei sich.
    Sie reichte ihm das Gefäß und sagte: »Sie haben unten in der Kombüse Feuer gemacht, und ich dachte mir, ein Schluck Tee könnte Euch gut tun.«
    »Mädchen, du rettest mir das Leben!« Keine glückliche Wortwahl, bedauerte Chedan, als er sah, wie sie erbleichte.
    »Haben wir uns verirrt?« Sie bemühte sich, Ruhe zu bewahren, aber ihre Hände zitterten. »Ihr könnt mir die Wahrheit sagen. Müssen wir alle hier draußen sterben?«
    Chedan schüttelte erschrocken den Kopf. »Mein liebes Kind…«, begann er.
    »Ich bin kein Kind mehr«, unterbrach sie ihn scharf. »Ich kann die Wahrheit ertragen.«
    »Mein liebes Mädchen - verglichen mit mir sind hier alle noch Kinder.« Chedan nippte dankbar an dem heißen Tee. »Doch zur Sache, Iriel. Du hast deine Frage falsch gestellt. Sterben müssen wir alle - früher oder später. Nichts anderes bedeutet nämlich ›sterblich‹ zu sein. Doch bevor es so weit ist, müssen wir erst einmal lernen, wie man lebt. Also nicht in Grübeleien versinken! Du hast schon einen guten Anfang gemacht, indem du mir geholfen hast.«
    Er sah sich um und entdeckte einen aufgerissenen Mehlsack, dessen Inhalt im Begriff war, sich über das Deck zu verstreuen.
    »Sieh zu, dass du die anderen Priesterschüler findest. Wenn wir das Mehl zu Grütze verarbeiten, ersparen wir es einem Matrosen, die Planken zu schrubben.«
    »Eine gute Idee«, ließ sich eine Stimme vernehmen.
    Chedan drehte sich um und sah Tiriki unter den Decken hervorkriechen, in denen sie geschlafen hatte. Mit unsicheren Schritten kam sie über das leicht schwankende Deck auf ihn zu.
    »Guten Morgen, Meister Chedan. Guten Morgen, Iriel.«
    »Herrin.« Iriel verneigte sich vor Tiriki und noch einmal vor Chedan, dann lief sie davon, um die anderen Priesterschüler zu suchen.
    Die beiden sahen ihr nach. »Ich weiß nicht, wie sie das macht«, bemerkte Tiriki. »Mir zittern die Knie, ich kann mich kaum auf den Beinen halten.«
    »Setzt Euch zu mir«, sagte Chedan freundlich. »Ihr seid ganz grün im Gesicht. Einen Schluck Tee vielleicht?«
    »Danke«, sagte sie und ließ sich rasch neben ihm auf die Seekiste sinken.

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