Die Ahnen von Avalon
eigentlich vor, nach Norden…«
»Ja, Herrin, ich weiß. Einen Tag bevor… vor unserem Aufbruch konnte ich kurz mit dem Prinzen sprechen. Mit beiden Prinzen, um genau zu sein. Prinz Tjalan sagte mir…« Er brach ab und nagte an seiner Unterlippe. »Wenn alles gut geht…« Wieder hielt Reidel inne. Einer der Matrosen trat zu ihm und legte zum Gruß die Hand an die Stirn. »Was gibt es, Cadis?«
»Der Mast kann jetzt aufgerichtet werden. Die Leute warten nur auf Euer Kommando.«
»Ich komme. Ihr müsst mich entschuldigen.« Reidel nickte Chedan und Tiriki respektvoll zu, doch sein Blick und seine Gedanken waren bereits wieder bei seinem Schiff und seiner Mannschaft.
Der Wind ließ sie nicht im Stich, und die Purpurschlange kam gut voran. Der geschiente Großmast knarrte zwar bedrohlich, aber er hielt dem Druck stand. Doch der Wind trieb auch sein Spiel mit den Wolken und formte aus den zähen Nebeln unheimliche Gestalten. Ahtarrath mochte in Trümmern auf dem Meeresgrund liegen, aber der Rauchpilz, der von seiner Zerstörung kündete, hing immer noch am Himmel und verdeckte bei Tag die Sonne und bei Nacht die Sterne.
Reidel steuerte wie vereinbart einen nördlichen Kurs, doch auch nach vielen Tagen hatten sie noch kein Land gesichtet. Andere Schiffe kreuzten nicht ihren Weg, aber da ständig dichter Nebel herrschte, war das vielleicht nur gut so. Ein Zusammenstoß wäre eine Katastrophe zu viel gewesen.
Tiriki ließ es sich nicht nehmen, jeden Tag einige Zeit mit den Priesterschülern zu verbringen. Besonders kümmerte sie sich um Damisa, die es noch immer nicht verwinden konnte, Prinz Tjalans Schiff nicht erreicht zu haben, und um Elis, die sie in ihrer Trauer um Aldel immer wieder daran erinnerte, dass sie selbst immerhin noch die Hoffnung hegte, ihren Liebsten lebend wieder zu sehen. Wer von den anderen seine Schwermut nicht abschütteln konnte, dem riet sie, sich ein Beispiel an Kalaran und Selast zu nehmen und sich nützlich zu machen, ein Hinweis, der oft genug Tränen auslöste. Bei jenen, die zu krank oder schwach waren, um zu den täglichen Pflichten herangezogen zu werden, bestand Tiriki darauf, dass sie zumindest die Gesangsübungen und ihre Studien nicht vernachlässigten.
Sie hatte gehofft, von Alyssa, der zweithöchsten Priesterin an Bord, mehr Unterstützung zu erhalten, aber die Seherin schonte ihr verletztes Bein, verließ nur selten die Kabine, die sie nahezu allein bewohnte, und gab sich ganz ihren Meditationen hin. Tiriki unterstellte ihr schon, sie wolle sich nur vor der Arbeit drücken, aber Liala bestätigte, die Seherin habe sich auf der Flucht tatsächlich eine schwere Verstauchung zugezogen.
Eines Nachmittags saß Tiriki auf dem Vordeck und überlegte, ob und wie sie gegen den Priester Rendano vorgehen sollte, der einen sinnlosen Kleinkrieg gegen eine kleine, muntere Saji namens Metia führte, als sich der trübe Himmel verfinsterte und ein Sturm über das Schiff hereinbrach. Schon die erste Nacht auf See war für Tiriki voller Schrecken gewesen. Als nun der Sturm so heftig wurde, dass sie nicht einmal mehr die aufgepeitschten Wellen sehen konnte, da sehnte sie sich tatsächlich in den Palast zurück. Dort hätte sie wenigstens in Würde ertrinken können.
Unter Deck klammerte sie sich eine qualvolle Ewigkeit lang an ihre Koje, während das Schiff haltlos auf den Wellen herumgeschleudert wurde. Selast, die wenigstens die Seefestigkeit der königlichen Linie von Cosarrath geerbt hatte, füllte ihr immer wieder ein Fläschchen mit frischem Wasser. Die anderen aßen Käsebrot und verspeisten die letzten frischen Früchte. Tiriki versuchte, nicht hinzusehen. Wenn sich die See für kurze Zeit etwas beruhigte, befolgte sie Chedans Ratschlag und nahm einen Schluck aus dem Fläschchen.
Die alte Priesterin Malaera schluchzte fast unentwegt, und die Priesterschüler klagten unablässig über ihr Los. Wenn hin und wieder dennoch eine Pause eintrat, hörte Tiriki über sich an Deck die Rufe der Matrosen und Reidels kräftige, klare Stimme. Doch jedes Mal, wenn die Hoffnung aufkeimte, das Schlimmste sei vorüber, heulte ein neuer Windstoß heran, und die Purpurschlange kippte, als wollte sie auf den Meeresgrund sinken. Der Verstand sagte ihr, dass kein Schiff ein solches Unwetter überstehen könne. Sollte sie nun darum beten, dass Micails Boot sich als stärker erwiese oder dass er bereits tot wäre und in der anderen Welt auf sie wartete?
Als das Elend zu groß wurde, verfiel sie
Weitere Kostenlose Bücher