Die Ahnen von Avalon
weißen Quelle gehen und daraus trinken zu wollen. Reidel stemmte die Hände in die Hüften und schüttelte den Kopf.
»Meister Chedan ist zu gutmütig«, bemerkte er. »Wenn die Siedlung steht, Aven, kannst du machen, was du willst, aber bis dahin werden wir alle zusammenarbeiten - und du wirst Meister Chedan gehorchen, als wäre er ein Prinz aus königlichem Hause!«
Nach diesem Vorfall lehnte sich niemand mehr offen auf, und es wurde erstaunlich wenig gemurrt. Nach einer Woche harter Arbeit waren alle in Hütten untergebracht, die jedoch mehr als einfach zu nennen waren. Man hatte sich die Häuser der Dorfbewohner zum Vorbild genommen: Vier Eckpfosten wurden in den Boden gerammt, die Wände waren aus dünnen Weidenzweigen geflochten und die Dächer mit Schilfbündeln gedeckt. Das Flechtwerk musste noch mit Lehm beworfen werden, um es wind-und wasserdicht zu machen, doch immerhin brauchte niemand mehr im Regen zu schlafen.
Sogar Alyssa hatte sich vom Schiff herauftragen lassen und teilte sich nun eine große Rundhütte mit den Blauen Priesterinnen Liala und Malaera. In einem kleinen Verschlag in der Nähe lagerte, fest in Seide gepackt, der Omphalos in seinem Schrein. Gleich daneben hatte man zwei weitere Hütten, kleiner, aber in sich abgeschlossen, für Tiriki und Chedan errichtet. Dahinter standen drei größere Gebäude. Das eine bewohnten die drei Priesterschülerinnen, das zweite die Saji Metia und ihre Schwestern. Im dritten stand Kalarans Bett, und dort schlief auch ein Weißer Priester namens Rendano. Reidel und seine Matrosen sowie der Händler Jarata und mehrere Flüchtlinge von Ahtarrath hatten sich unweit der Stelle, wo die Vogelschwinge auf Grund gelaufen war, ihre Unterkünfte gebaut.
So war fast schon eine kleine Gemeinde entstanden. Die Hütten erfüllten ihren Zweck, man saß im Trockenen, aber für atlantidische Begriffe waren sie schon deshalb kein Heim, weil sie zu wenig Wärme boten und der Wind durch alle Ritzen zog.
Wenn Tiriki schlotternd und schniefend an ihrem Torffeuerchen kauerte, wusste sie nicht, ob sie nun eine Erkältung bekam oder unter bösen Vorahnungen litt. Auch ihre flehentlichen Blicke zum Bildnis der Großen Mutter, für das sie aus Steinen eine kleine Grotte aufgeschichtet hatte, nützten nichts. Im flackernden Feuerschein schien sogar die Göttin vor Kälte zu zittern. Tirikis Brüste schmerzten und spannten, ein Hinweis, dass die geheimnisvolle Taret ihren Zustand richtig gedeutet hatte. Aber wie konnte sie hoffen, in dieser Wildnis ein Kind auszutragen? Hatten die Flüchtlinge den Untergang von Atlantis und die Fährnisse der Reise nur überlebt, um vor dem Klima dieses neuen Landes kapitulieren zu müssen?
Tiriki vermutete zwar, dass Damisa etwas übertrieben hatte, dennoch bereitete ihr der Bericht von der Auseinandersetzung zwischen Aven und Chedan Magenschmerzen ganz anderer Art, als die Schwangerschaft es tat. Im Gegensatz zu ihrer Schülerin begriff sie zwar, dass Aven sich nicht allein gegen die Autorität des Magiers, sondern gegen die gesamte Priesterschaft aufgelehnt hatte, was die Sache nur noch schlimmer machte. Chedan entstammte dem Alten Tempel. Er hatte im Grunde keine andere Wahl gehabt, als seine Kaste zu verteidigen.
Er tut so etwas nicht zu seinem eigenen Ruhm, hatte sie Damisa erklärt. Er handelt nur zu deinem und meinem Besten. Und woher weißt du, wie sich die Auseinandersetzung ohne dein Eingreifen entwickelt hätte?
Damisa war gebührend zerknirscht abgezogen, aber ihre Schilderung des Vorgefallenen hing in der zugigen Hütte wie der Geruch sauer gewordener Milch. Tiriki zweifelte nicht an Chedans Fähigkeiten, aber sie konnte sich kaum vorstellen, dass der Magier, den sie als ruhigen und vernünftigen Menschen kennen gelernt hatte, den alkonischen Seemann tatsächlich zu Asche verbrannt hätte. Das hinderte sie freilich nicht daran, allen Göttern und Göttinnen dafür zu danken, dass Reidel sich eingemischt hatte, auch wenn damit das eigentliche Problem nicht gelöst, sondern lediglich zurückgedrängt worden war.
Denn das Problem war nicht Aven. Er hatte nur als Erster laut ausgesprochen, was andere längst flüsterten, wenn sie glaubten, dass niemand zuhörte.
»Micail, Micail«, sagte sie leise. »Warum haben wir es denn überhaupt versucht? Wäre es nicht besser gewesen, uns Hand in Hand zusammen mit unserem Volk in das Schicksal unserer Heimat zu fügen? Dann wäre jetzt alles vorüber, und wir könnten in Frieden ruhen.«
Du
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