Die Ahnen von Avalon
Grasbüschel aus, um sich das Bein abzuwischen.
Selast ließ sich mit einem erleichterten Seufzer neben sie sinken.
»Danke!« Damisa wurde es plötzlich warm ums Herz, sie schloss die andere dankbar in die Arme. Ein Körper, der nur aus Muskeln und Knochen bestand und dabei so biegsam war, als hielte man ein wildes Tier. Für einen Moment herrschte tiefe Stille, dann erwiderte Selast die Umarmung, heftig, aber nicht grob.
»Ruh dich aus, bis du sicher bist, dass der Fuß dein Gewicht trägt«, sagte sie ein paar Atemzüge später. Doch Damisa fand es so unerwartet schön, die andere in den Armen zu halten, dass sie nicht losließ.
»Weißt du noch, der Laden in Ahtarra«, fragte sie wehmütig, »gleich beim Trezar-Pfeiler, wo es diese köstlichen kleinen Kuchen mit Honigglasur zu kaufen gab?« Sie legte sich in das weiche Gras zurück, und Selast kuschelte sich in ihre Armbeuge.
»O ja«, schwärmte Selast mit halb geschlossenen Augen. »Für einen einzigen solchen Kuchen könnte ich sterben! Hoffentlich haben diese dummen Emmer-und Gerstenkörner in diesem Jahr begriffen, wie man wächst! Natürlich kann man sich in Notzeiten mit Nussmehl behelfen, aber… es ist einfach nicht das Richtige.«
Damisa seufzte und streichelte Selasts kräftige Schultern, ohne sich dessen bewusst zu sein. »Als ich ein kleines Mädchen war, brachten die Bauern am Ende des Sommers Unmengen von Trauben und Ila-Beeren aus den Weingärten nach Alkona. Die Karren waren so voll beladen, dass die Früchte an den Seiten herunterfielen, aber das kümmerte niemanden. Sie lagen auf der Straße und wurden unter den Rädern zerquetscht, bis es aussah, als flösse der Wein in Bächen durch die Rinnsteine.«
»Hier werden niemals gute Trauben wachsen. Zu wenig Sonne…« Immerhin war die Sonne so stark, dass sie Selasts Haut in Gold verwandelte und das windzerzauste Gras der Wiese in warmem Licht erstrahlen ließ.
Damisa stützte sich auf einen Ellbogen und sah auf sie hinab. »Deine Lippen haben die gleiche Farbe wie damals die Trauben«, flüsterte sie.
Selast sah zu ihr auf. Ihre Augen strahlten.
»Koste doch, vielleicht schmecken sie auch so«, lächelte sie.
Es war schon nach Mittag, als sie die anderen einholten. Die Sumpffrauen standen dicht beieinander am Seeufer und stocherten leise schwatzend im dichten Schilf herum. Sobald sie Damisa und Selast kommen hörten, begann eine von ihnen aufgeregt zu schnattern und deutete mit dem Finger ins Röhricht. Als die beiden Mädchen sie nur verständnislos ansahen, wedelte sie mit den Armen und formte die Hände zur Schale.
»Eier?«, fragte Damisa. Alle Priesterschüler hatten sich in den vergangenen zwei Jahren bemüht, die Sprache des Volks vom See zu erlernen, aber Iriel und Kalaran waren die Einzigen, die sie auch wirklich sprechen konnten. Damisa selbst war über einen sehr begrenzten Wortschatz noch nicht hinausgekommen. Die kleine Frau aber lächelte und winkte sie zu sich.
Bevor Damisa ihr folgte, schürzte sie vorsichtshalber ihre Röcke, und das war auch gut so. Das Ziel waren nämlich die Nester einer unbekannten Entenart, die offenbar das Schilf für ein gutes Versteck gehalten hatte.
Wer über die Begegnung weniger erfreut war, die Enten oder die Priesterschülerin, war schwer zu sagen. Jedenfalls artete das Ganze in ein misstönendes Konzert aus Flüchen und empörtem Quaken aus. Damisa ließ jeder Entenmutter wenigstens ein Ei zum Ausbrüten, aber das konnte die Tiere nicht beschwichtigen. Sie hätte nicht gedacht, dass Enten beißen könnten, aber als die Gruppe auf höheres Gelände weiterzog, um nach frischem Frühlingsgrün zu suchen, hatte sie Kratzer und Schrammen an beiden Händen.
Die jungen Blätter von Vogelmiere, Gänsefuß und Hederich waren so zart, dass man sie roh verzehren konnte. Aus den Knollen der Lilien ließ sich eine herzhaftere Mahlzeit bereiten. Auch Nesseln waren genießbar, entweder gedünstet als Gemüse oder in Wasser gekocht als Tee, aber die Eingeborenenfrauen mussten immer lachen, wenn die Priesterschülerinnen sie zu pflücken versuchten. Man verbrannte sich dabei unweigerlich die Hände, und dann zeterten die Mädchen auf eine Weise, die sich für künftige Priesterinnen ganz und gar nicht ziemte.
Selast leckte sich die schmerzenden Finger und schmollte noch, als sie bereits auf dem Heimweg waren. »Es gibt Schlimmeres«, sagte Damisa, nahm ihre Hand und küsste die Bläschen. »Kalaran ist mit den Jägern unterwegs. Die Nesseln brennen,
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