Die Akte Daniel (German Edition)
fand. Für sie war er tot und Tote kehrten nicht wieder zurück. Viele Gedanken würde er sich darüber jedoch auch nicht zerbrechen können. Ganz sicher würde ihn seine Aufgabe einnehmen, die mit dem Schutz des Shapeshifters zu tun hatte, vielleicht auch eine andere Aufgabe, sollte sich Sunday wirklich verhört haben. Aber wie es auch immer kam, sehr viel Zeit würde er nicht haben.
Sunday hatte schon ganz recht: Es ging etwas unwiderruflich zu Ende, was auch nicht wiederkommen würde. Das Kapitel Schule wurde abgehakt und was nun kommen würde, war nicht wirklich abzusehen.
»Hey, ihr zwei. Blast kein Trübsal! Es ist Zeit zum Feiern«, wurden sie aufgefordert.
Daniel und Sunday rangen sich ein Lächeln ab, aber ganz konnten sie ihre Melancholie nicht vertreiben, da mochte der Abend noch so ausgelassen und fröhlich sein.
»Los, trinkt mit uns!«, rief Kate und reichte ihnen Gläser. Und prompt wurde reihum mit Sekt angestoßen, ehe die beiden sich noch wehren konnten. Sundays Wangen nahmen bald die Farbe seiner Haare an, und er wurde verdächtig ruhig.
Irgendwie schafften die beiden es, sich unauffällig zu verdrücken, als die Stimmung stieg. Vielleicht ließ man sie auch nur gehen, weil alle wussten, dass sie nun gern allein sein wollten. Aber dieses Mal war es weitaus mehr. Sie wollten allein Abschied voneinander nehmen, auch wenn es bis zu dem endgültig letzten Tag ihrer gemeinsamen Zeit noch ein wenig dauern würde. Jetzt ruhig einander in die Augen zu sehen und sich der Nähe des anderen zu versichern war anders als der Abschied vor den Augen vieler.
Als Daniel in der darauf folgenden Woche zwei weitere Prüfungen bestand, wurde klar, dass sein Weggang vielleicht schon in einer oder auch in zwei Wochen anstand. Er hatte schon eine Wohnung in London in Aussicht gestellt bekommen und sie kurz darauf sogar schon angesehen. Es würde merkwürdig sein, allein zu leben, dachten sie beide immer häufiger, und versteckten dabei ihre Unsicherheit voreinander. Daniel wusste nicht, ob er überhaupt allein leben konnte. Es hatte eine Zeit gegeben, in der er gern allein gewesen war, in der er Gesellschaft anderer Menschen sogar gemieden hatte. Doch jetzt wollte er das nicht mehr.
Aber es stand fest und jede Stunde, die verging, wurde dabei fast zur Marter. Bald bekam Daniel zu hören, dass sich Sunday tatsächlich nicht verhört hatte; Daniel würde der neue Protector des Shapeshifter werden.
Der Shapeshifter war so etwas wie eine Legende unter den Nachtlingen. Eine Legende, die sehr wohl wahr war, auch wenn es viele erfundene Geschichten gab, die eher Züge phantastischer Erzählungen besaß. Doch die Legende der Shapeshifter war auch eine Geschichte des Ordo . Die genauen Umstände seiner Geburt waren geheim, was einen weiteren Schub aneinander abweichender Gruselgeschichten zur Folge hatte. Was jedoch zweifelsfrei bekannt war und auch jedes Kind des Ordo gelehrt bekam, war, dass es sich bei den Shapeshiftern um Nachtlinge handelte. Jedoch waren sie ein ganz besonderer. Während sich andere Nachtlinge schon im Mutterleib wandelten, war das bei einem Shapeshifter nicht der Fall. Daniel hatte von Sunday alles erfahren, was es über diesen Mythos zu erzählen gab. Bisher, so erfuhr Daniel nun aus sicherer Quelle, hatte sich der jüngste existierende Shapeshifter noch nie verwandelt. Ob er es konnte, war nicht sicher. Aber des Schutzes durch den Ordo bedurfte er dennoch, da ihre Feinde hinter ihm her waren und sie ihn schlimmer noch als die »normalen« Nachtlinge quälen würden, sollten sie seiner habhaft werden.
Schon vor Jahren hatte sich der Ordo entschieden, den Shapeshifter unter normalen Menschen aufwachsen zu lassen. Denn sollte er ein normales Kind sein, dann sollte er auch ein normales Leben haben. Der Nachteil war, dass er rund um die Uhr Beschützer brauchte.
Bisher hatte die Firma zwar noch nicht versucht, ihn zu fangen, aber das lag wohl einfach daran, dass sie bisher nicht wusste, wo der Shapeshifter lebte – und vor allem, dass er überhaupt lebte. Dennoch war alles eine Frage der Zeit und niemand wog sich nach dem Angriff auf das Internat in Sicherheit. Sie mussten mehr denn je wachsam sein und der bisherige Protector konnte dieser Aufgabe nach seiner Verletzung für eine lange Zeit, wenn sogar für immer, nicht mehr nachgehen. Stella hatte Daniel versprochen, ihm die komplette Akte seines künftigen Schützlings in ein paar Tagen zu geben.
Doch jetzt packte er seine wenigen
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