Die Akte Daniel (German Edition)
hat, Berenice. Glaube nicht, was sie dir sagen«, warnte er sie.
»Aber wenn doch? Es wäre eine Chance. Ich weiß, dass ich ihnen nicht mehr von Nutzen bin; sie haben alles an mir gründlich erforscht.« Berenices volle Lippen verzogen sich zu einer schmalen, harten Linie. Dann schnaufte sie abfällig. »Warum sollten sie mich nicht gehen lassen?«
»Weil niemand die Foundation verlässt!«, antwortete Jason ihr hart. »Niemand. Sie könnten auch mich gehen lassen. Aber sie werden es nicht tun. Kann ich nicht mehr für sie arbeiten, werde ich sterben.«
»Aber ... irgendwas müssen wir doch tun können. Ich will nicht für immer hier sitzen und darauf warten, dass ich sterbe. Und genauso wenig will ich sehen, wie du stirbst. Hörst du?«
Jason nickte. »Wir können versuchen zu fliehen«, flüsterte er so leise, dass er kaum zu hören war.
»Dann lieber heute als morgen«, wisperte Berenice zurück. »Hast du eine Idee, wie? Ich kann mich zumindest auf dem Gelände frei bewegen ...«
»Einfach rausgehen. Keine Planung. Planungen verraten«, murmelte Jason, der nicht glaubte, dass er ernsthaft in Erwägung zog, einfach alle Brücken hinter sich abzubrechen.
»Und wann? Jetzt sofort oder erst, wenn’s dunkel ist? Als Katze habe ich es leichter ...« Berenice fiel etwas ein. »Ich hätte es fast vergessen: Ich habe einen Peilsender eingepflanzt bekommen. Der muss raus.« Sie drehte ihren Rücken zu Jason und tippte mit dem Finger gegen ihr Schulterblatt. »Hier ungefähr. Kannst du das entfernen?«
Jason berührte die harte Perle unter der Haut. Er wusste, dass diese nicht wirklich einwuchs. Meist trugen Nachtlinge diese Sender nicht für lange Zeit. Er zückte kurzerhand sein Messer und hob das Kissen vom Bett, um es ihr in die Hand zu drücken. »Beiß da rein. Ich entferne den Sender. Dann kannst du dich noch ein wenig erholen bis zur Nacht.« Die Entscheidung war damit gefallen.
»Danke.« Berenice drückte das Kissen gegen ihr Gesicht, nahm ihren Mut zusammen und biss beherzt zu. Zum Glück war Jasons Messer so scharf, dass der Schmerz erst einsetzte, als er bereits fertig war. Sie atmete zittrig auf. Es war, als wäre ein Bleigewicht von ihr genommen worden.
Jason machte den Sender sauber und drückte ihn dann Berenice in die Hand. »Pass auf ihn auf und ruh dich aus. Ich komme heute Nacht wieder zurück. Dann wird es hier eine Katze weniger geben.« Er lächelte aufmunternd und küsste ihre feuchte Stirn. »Ich komme wieder«, versprach er.
»Bis später«, verabschiedete Berenice ihn und sah ihm hinterher. Jason war der Einzige, der sich je die Mühe einer freundlichen Berührung gemacht hatte und der zu menschlichen Regungen in der Lage war. Für alle anderen hier war sie nur ein Studienobjekt. Aber mit etwas Glück war das bald vorbei.
Jason schloss sorgfältig die Tür zu ihrer Zelle und ging. Er wohnte, wenn er ein Objekt in die Anlage brachte, mitunter im Laborkomplex und da es schon spät war, wollte er auch dieses Mal wieder hier Quartier nehmen. Zudem hatte er es dann nicht mehr weit.
Jason atmete tief durch. Er hörte leises Weinen aus einigen Zellen. Es war kein guter Zufall gewesen, als er eines Tages gesehen hatte, was mit manchen Nachtlingen geschah. Sie wurden operiert und verstümmelt. Er hatte aber auch gesehen, wie mancher hübsche Nachtling, ob männlich oder weiblich, den sexuellen Vorlieben der Wissenschaftler dienen musste. Dabei waren auch die tierischen Formen gern gesehen und für die perversesten Gelüste gut genug. Jason war schlecht geworden und mehr denn je hatte er an diesem Tag seinen Job hassen gelernt, aus dem er jedoch keinen Ausweg sah. Die Medikamente der Foundation hielten seinen Verfall auf und schenkten ihm Zeit, linderten die stärker werdenden Schmerzen. Seine nächste Dosis stand ganz sicher auch jetzt wieder bereit.
Und so war es auch, kaum dass er seine karge Unterkunft betrat. Es spielte keine Rolle, ob er sich nur vorübergehend irgendwo aufhielt oder sein festes Quartier nahe Londons bezog, war er kaum besser untergebracht als die Nachtlinge überall auf der Welt. Auf die eine oder andere Art war auch er eben nur ein Werkzeug, ein Mittel zum Zweck, das man austauschen würde, wenn es seine Aufgabe nicht mehr erfüllen konnte, selbst wenn man so schnell keinen Ersatz würde besorgen können. Wenn er darüber nachdachte, war es eigentlich nur Berenice, die mit ihm so etwas wie ein normales Gespräch führte.
Mit niemandem sonst arbeitete er
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