Die Akte Daniel (German Edition)
Aber er freute sich jetzt schon auf den nächsten Besuch. Vielleicht kamen sie einander doch näher, ohne sich zu nah zu kommen.
17
Ein Labor der Kage no Kiseki unweit vom Stadtbezirk Bexley außerhalb von London
Jason schloss seine Augen. Der Schmerz saß tief; sein ganzer Körper schien sich innerlich selbst zu verbrennen und das war auch so. Das Zittern, welches ihn nun schon seit zwei Monaten begleitete, war stärker geworden und raubte ihm jegliche Ruhe.
Er musste es unterdrücken, wollte er nicht auf der Abschussliste landen. Er wusste, dass er alt war. Zu alt für einen Dämon . Es gab zwar keinen Nachfolger für ihn, aber langsam verlor er seine Nützlichkeit und damit seine Existenzberechtigung als solche. Vorsichtig straffte Jason seine Haltung, setzte eine nichtssagende Miene auf und schob dann seinen eingefangenen Nachtling durch die Tür des Labors.
Es war ein Mädchen, noch keine zehn Jahre alt und völlig verängstigt. Seit seiner Gefangennahme hatte es keinen Ton herausgebracht, nicht einmal geschrien. Es war also problemlos verlaufen.
Die Wissenschaftler nahmen die Kleine in Empfang. »Ah, danke. Sie können gehen, Jason. Es wird vorerst nichts mehr für Sie zu tun geben.«
Vorerst ... das konnte eine Woche oder nie wieder bedeuten.
Jason wusste es nicht. Er nickte nur knapp und verließ das Labor, ohne sich noch einmal umzusehen. Es war in einem großen Gebäudekomplex untergebracht, der nicht nur die Forschungseinrichtungen beherbergte. Jason blieb zwei Flure weiter vor einer der Türen stehen, die mit einem Code versehen war, den er nur zu gut kannte, da er ihn schon so oft gesehen hatte. »Nachtling, felin, weiblich, geistig sehr stabil«, stand dort auf dem Schild, dazu eine Menge weiterer biologischer Daten. Kein Name, nur eine Nummer.
Jason berührte die Tür und strich dann über den eingestanzten Strichcode. Seine Sicherheitsstufe berechtigte ihn zum Betreten der Zelle, also öffnete er sie.
»Berenice?«, meldete er sich höflich an.
»Jason? Hallo! Komm rein!«
In den Jahren, die Jason das Mädchen nun schon kannte, hatte sich seine Stimme nicht verändert; sie klang immer noch dunkel und rauchig wie die einer Soulsängerin. Dafür sah Berenice inzwischen ihrer Stimme ein wenig ähnlicher. Aus dem niedlichen Mädchen war eine bildhübsche, junge Frau geworden, deren Figur und besonders die samtigen dunklen Augen einen gefangen nahmen und nie wieder losließen.
»Wie geht es dir, Schönheit?«, begrüßte Jason sie auf altbekannte Weise. So oft er konnte, besuchte er sie. Sie war die Einzige der Nachtlinge hier, bei dem er jemals den Wunsch und den Willen hatte, sie noch einmal zu sehen und dann immer wieder zu besuchen. Auch andere berührten ihn, aber hier konnte er nicht einfach vorbei gehen und verleugnen, was er getan hatte.
»Gut. Ich hab mich schon gefragt, wann du mal wieder vorbeikommst.« Berenice stand auf; sie hatte am Fenster gesessen und durch die Gitterstäbe gestarrt. Trotz der herbstlichen Kühle, die sich ins Gebäude schlich, trug sie nur eine kurze Hose und ein T-Shirt, beides in sterilem Krankenhaus-Weiß. Andere Kleidung war den Gefangenen auch nicht zugänglich.
Jason setzte sich ein wenig linkisch auf die Bettkante, das neben einem schlichten Stuhl die einzige Möglichkeit war, sich zu setzen.
»Ich habe wieder jemanden eingefangen«, berichtete er widerstrebend. Verstohlen rieb er sich die Hände, die schon die ersten Anzeichen einer Gicht hatten. »Ich werde alt«, murmelte er plötzlich und bereute seinen Ausbruch.
Berenice sah ihn nachdenklich an, dann setzte sie sich neben ihn. Ihre warme Hand strich über sein Gesicht, fuhr die Fältchen um die Augen nach. »Wie lange willst du das noch mitmachen?«, fragte sie leise. »Ich weiß doch, dass du das nicht willst.«
»Wenn ich aufhöre, dann bin ich tot und ich will nicht sterben!« Jason hasste sich für den weinerlichen Ton in seiner Stimme. Aber er hatte wirklich Angst. Er hatte es verdrängt, dass ihn sein Talent umbringen würde. »Sie werden mich nicht am Leben lassen.«
»Aber wenn du so weiter machst, fällst du früher oder später einfach um«, hielt Berenice dagegen. Wie um sich zu vergewissern, dass niemand sie belauschte, flüsterte sie: »Du weißt, dass man mir erlaubt hat, zu gehen. Komm mit. Lassen wir das alles hinter uns.«
Jason sah auf. Er war unglücklich. »Sie werden dich nicht gehen lassen. Es hat noch nie einen gegeben, der die Labore lebendig verlassen
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