Die Akte Golgatha
Tisch und presste zwischen den Zähnen hervor: »Alles, was ich über Mr. Schlesinger und Miss Yadin weiß. Und dieses Wissen ist viel mehr wert als zehntausend Schekel. Glauben Sie mir.«
Gropius lachte gekünstelt. »Hören Sie zu, Yussuf, mir ist bekannt, dass die beiden ein Verhältnis hatten und dass Schlesinger verheiratet war.«
»Das meine ich nicht«, fiel ihm der Palästinenser ins Wort. »Ich denke an Schlesingers Ausgrabungen in Jerusalem. Nicht umsonst hat Schlesinger allen seinen Leuten viel Geld bezahlt, damit sie den Mund halten. Er wusste genau, was seine Entdeckung für gewisse Leute wert war. Sie sind übrigens nicht der Erste, der sich nach Schlesingers Arbeit erkundigt. Irgendwelche Spanier haben Contenau viel mehr Geld geboten, als ich von Ihnen fordere. Aber Contenau wusste nur, was ich ihm erzählt habe, und ich habe das Wichtigste für mich behalten. Jetzt will auch ich ein Stück von dem Kuchen!« Zornig stieß er seinen Stock auf den Boden.
Gropius nickte. Mit einem Mal wurde ihm klar, warum der Fall Schlesinger so verwirrend war – weil sich die Spuren zweier Verbrechen in ihm kreuzten. Noch war er von einer Lösung des Falles weit entfernt, aber Gropius sah sich in der Absicht bestärkt, neue Wege zu gehen.
Von einem Augenblick auf den anderen wich das Misstrauen aus Gropius' Gesicht und machte unerwarteter Freundlichkeit Platz. »Also gut«, sagte er, »ich mache Ihnen einen Vorschlag: die Hälfte der Summe sofort, die andere Hälfte, falls Ihre Aussagen wirklich Neues enthalten.«
Yussuf überlegte kurz, dann reckte er seine flache Hand über den Tisch. Gropius verstand und schlug ein. »Ich werde das Geld gleich morgen Früh besorgen.«
Der Palästinenser nickte. »Ich vertraue Ihnen, Mr. Gropius.«
»Woher kennen Sie überhaupt meinen Namen? Und wie haben Sie mich gefunden?«
Yussuf kniff beide Augen zusammen, dass sich auf seinem Gesicht hundert Falten bildeten, und sagte: »Beersheba ist nicht so groß, dass ein Fremder unauffindbar wäre. Es gibt nur vier Hotels in Beersheba. Zuerst glaubte ich, ein vornehmer Europäer wie Sie wäre im ›Desert Inn‹ abgestiegen. Aber dann sah ich Ihren Chrysler, der vor dem ›Hanegev‹ geparkt war, und Vladimir wusste, wo ich Sie finde.«
Im Übrigen lehnte es der Palästinenser ab, auch nur eine seiner Informationen preiszugeben. Auch über Sheba Yadin machte er keine Angaben. Vielmehr bestand er darauf, dass sie sich am folgenden Tag in Jerusalem trafen und auf getrennten Wegen dorthin gelangten.
»Mittags, gegen 12 Uhr, am Busbahnhof in der ersten Reihe. Und vergessen Sie das Geld nicht, Mr. Gropius!« Und bevor er sich in Richtung der Altstadt davonmachte, brummte er noch: »Bleiben Sie ruhig sitzen. Es wäre nicht gut, wenn man uns zusammen sähe, Sie verstehen!«
Gropius verstand überhaupt nichts. Ratlos starrte er auf seinen leeren Teller, auf dem ihm während des Gesprächs ein köstliches ›Of sumsum‹ serviert worden war, Hähnchenteile in Sesam gewendet und in Öl gebacken. Unauffällig musterte er die Gäste an den übrigen Tischen. Er fühlte sich beobachtet, obwohl es dafür nicht den geringsten Anhaltspunkt gab. Aber das sichere Auftreten des Palästinensers hatte ihn zutiefst verunsichert. Er war keineswegs ungebildet, und wie bei allen Orientalen konnte man nur schwer ausmachen, welche Einstellung sich hinter der freundlichen Maske verbarg. Wenn Yussuf ihn in eine Falle lockte? Und warum dirigierte er ihn ausgerechnet nach Jerusalem? In eine Stadt, in der es seit biblischen Zeiten ein Leichtes war unterzutauchen?
Noch am selben Tag begab sich Gregor Gropius nach Jerusalem, das keine zwei Autostunden weiter nördlich lag. Das ›King David Hotel‹ in der gleichnamigen Straße strahlte den leicht dekadenten Charme des frühen 20. Jahrhunderts aus, und Gropius nahm ein Zimmer im fünften Stock mit Blick über den Park auf das alte Jerusalem.
Er hatte schlecht geschlafen und wusste nicht, was ihn erwartete, aber er hegte immer noch die Hoffnung, etwas Bedeutsames über Schlesinger zu erfahren. Deshalb hob er in der hoteleigenen Bank die Summe ab, welche Yussuf den Mund öffnen sollte. Weil er mit den Verkehrsverhältnissen in der aufregenden Stadt nicht vertraut war, bestieg er bereits eine Stunde vor dem vereinbarten Termin ein Taxi in Richtung Busbahnhof. Obwohl der Fahrer, ein polnischer Jude, nicht die direkte Route nahm – Gropius glaubte, einige Gebäude zweimal zu sehen –, erreichte er den Busbahnhof
Weitere Kostenlose Bücher