Die Akte Golgatha
Anrichte stand. »Ist das Ihre Tochter Sheba?«
»Ja«, antwortete die Mutter, ohne näher darauf einzugehen.
»Wirklich sehr hübsch«, erwiderte Gregor, aber keineswegs aus Höflichkeit. Sheba war eine Schönheit. Sie hatte lange schwarze Haare und dunkle Augen und die hohen Wangenknochen verliehen ihr einen exotischen Reiz, der durch ein Muttermal auf der linken Wange noch erhöht wurde.
Nachdenklich verabschiedete sich Gropius.
Wieder auf der Straße, ging er ein Stück zu Fuß bis zum nächsten Taxistand vor einem Hotel, zwei Straßenzüge weiter. Die Sonne schien ihm angenehm ins Gesicht, und Gropius dachte nach. Sein Misstrauen gegenüber Shebas Mutter war mindestens ebenso groß wie der Argwohn, den diese ihm gegenüber an den Tag gelegt hatte. Natürlich wusste sie viel mehr über die Beziehung zwischen Sheba und Schlesinger – auch wenn sie ihm nie begegnet war. Und zweifellos gab es einen Grund, warum sie das Gespräch so unvermittelt abbrach, als er auf den mysteriösen Unfall zu sprechen kam. Immerhin wusste er jetzt, wo er Sheba finden konnte, und er entschloss sich, noch am selben Tag nach Beersheba zu reisen.
Im Hotel mietete Gropius einen weißen Chrysler mit Klimaanlage und machte sich auf den Weg in Richtung Süden auf der A 1, die Tel Aviv und Jerusalem verbindet, bog auf die A 4 ab in Richtung Gaza und gelangte nach etwa 30 Kilometern auf die Fernstraße 40, die von hier durch eine bisweilen von saftigem Grün unterbrochene Steppenlandschaft führt. Etwa zwanzig Kilometer vor Beersheba wechselt die Landschaft in die karstige Negev-Wüste über, wo Ocker und Braun das Bild bestimmen, so nicht riesige Bewässerungsanlagen die Wüste in ein Paradies verwandeln.
Es war Donnerstag, und Beersheba quoll über von Menschen, denn an diesem Tag ist immer Beduinenmarkt, und das illustre Ereignis zieht Menschen aus ganz Israel an. In der Altstadt, die vor hundert Jahren von deutschen Ingenieuren am Reißbrett geplant wurde und daher wie ein Schachbrett von schnurgeraden Straßen durchzogen ist, fand Gropius noch ein Zimmer in einem kleinen Hotel mit dem Namen ›Hanegev‹, nicht weit vom Museum in der Ha'atzmaut-Straße gelegen, das in einer alten türkischen Moschee untergebracht ist.
Vom Portier, einem ukrainischen Juden namens Vladimir, der jedem neuen Hotelgast in seiner ureigenen Sprache aus Jiddisch, Russisch und Englisch erklärte, dass er in seiner früheren Heimatstadt Sewastopol Theaterdirektor gewesen sei, von diesem akademisch gebildeten Hotelangestellten erfuhr Gropius, dass Pierre Contenau mit seiner Mannschaft am nördlichen Stadtrand ein paar Kilometer außerhalb auf dem Tell Be'er Sheva zu finden sei – allerdings erst morgen wieder. Er blickte auf die Uhr, und mit erhobenem Zeigefinger verkündete er, wegen der großen Hitze stelle der Professor die Arbeit um die Mittagszeit ein.
Am nächsten Morgen stand Gregor Gropius früh auf. Das fiel ihm nicht schwer, denn das Hotel war laut und die Stadt, wie es schien, bereits mit den ersten Sonnenstrahlen auf den Beinen. Das Frühstück war gewöhnungsbedürftig und bestand in der Hauptsache aus Fischhappen, Quark und weißem Käse, aber das großporige Weißbrot schmeckte hervorragend.
Mit einem Wortschwall und gestikulierenden Armbewegungen beschrieb ihm der Portier mit Theatervergangenheit den Weg zum Tell Be'er Sheva, östlich der Fernstraße 60 in Richtung Hebron gelegen.
Als Gropius auf dem weiten Hügelfeld, das von alten Befestigungsmauern und Kanälen durchzogen wird, eintraf und den Wagen am Rand einer unbefestigten, staubigen Straße abstellte, stand die Sonne noch tief, und lange Schatten wanderten über die Grabungsstätte. Ein Schild verwies auf ein kleines Museum, und aus einer Holzhütte, die scheinbar ohne jeden Grund in der karstigen Landschaft stand, näherte sich mit lautem Rufen ein Mann in Palästinensertracht. Im Näherkommen erkannte Gropius das gegerbte dunkle Gesicht eines Wüstensohnes mit silberweißen Bartstoppeln. Seine linke Faust umschloss ein Gewehr mit altmodischem Zündschloss, wohl eher ein Dekorationsstück als zum Schießen geeignet.
Immerhin sprach er Englisch, und Gropius konnte sich verständlich machen, dass er aus Deutschland komme und auf der Suche nach Sheba Yadin sei. Seine Bitte, ihn zu ihr zu führen, lehnte er mit Entschiedenheit ab, vielmehr nötigte er ihn, bei seinem Auto zu warten, er wolle sehen, was er für ihn tun könne. Dabei hielt er ihm drohend seine Flinte
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