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Die Akte Golgatha

Die Akte Golgatha

Titel: Die Akte Golgatha Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Vandenberg
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eine aramäische Inschrift handelte.«
    »Und? Wie lautete die Inschrift?«
    Yussuf trat ganz nahe an Gropius heran und antwortete leise: »Jeschua, Sohn des Josef, Bruder des Jakobus.« Seine Augen blitzten, als er das sagte.
    Gropius sah den Palästinenser lange an. Er hatte Schwierigkeiten, den Inhalt der Aussage in letzter Konsequenz zu begreifen; erst allmählich, als tauchte aus dem Nebel der Geschichte ein Ereignis auf, das alle bisherigen Erkenntnisse über den Haufen warf, wurde ihm die Bedeutung dieser Inschrift klar.
    »Wenn ich Sie recht verstehe«, bemerkte Gropius, »dann glaubte Schlesinger die Gebeine des Jesus von Nazareth gefunden zu haben.«
    »Er glaubte es nicht«, warf Yussuf ein, »er war davon überzeugt, und Mr. Schlesinger setzte alles daran, seine Theorie zu beweisen. Denn zunächst hatte er alle gegen sich, Archäologen, Theologen und Bibelforscher. Die Archäologen hielten den Steintrog für eine plumpe Fälschung, die Theologen behaupteten, die Gebeine des Jesus von Nazareth könnten gar nicht auf dieser Erde gefunden werden, weil Jesus in den Himmel aufgefahren sei, und die Bibelforscher meinten, der Name Jeschua oder Jesus sei um die Zeitenwende gar nicht so selten gewesen, es könne sich also um die Knochen irgendeines vor zweitausend Jahren gestorbenen Mannes handeln.«
    Yussufs Worte lösten bei Gropius Bewunderung aus. Für einen Mann seines Standes war er ungewöhnlich gebildet, und er verstand sich gewählt auszudrücken, ja, Gropius zweifelte, ob er wirklich der einfache Wüstensohn war, der zu sein er vorgab.
    »Und wie reagierte Schlesinger«, erkundigte sich Gropius.
    »Was den Namen Jesus betrifft, meinte Mr. Schlesinger, hätten wohl nur wenige einen Vater namens Josef und vermutlich nur einer obendrein einen Bruder namens Jakobus gehabt. Beide Namen werden jedoch im Neuen Testament im Zusammenhang mit Jesus genannt. Dem Vorwurf, einer Fälschung aufgesessen zu sein, begegnete Mr. Schlesinger mit naturwissenschaftlichen Untersuchungen, die er in Europa in Auftrag gab. Die größten Bedenken kamen natürlich von den christlichen Kirchen, aber auch von islamischen Geistlichen, denn in der Darstellung beider Kirchen ist Jesus mit seinem leiblichen Körper zu Gott aufgefahren. Peinlich, wenn plötzlich seine Knochen auftauchten!« Yussuf grinste hinterhältig und zwinkerte. »Am nächsten Tag«, fügte er hinzu, »ließ Mr. Schlesinger die Grube mitsamt dem Steintrog wieder zuschütten.«
    Gropius wusste nicht, ob ihm die Mittagshitze den Schweiß in den Nacken trieb oder die Erzählung des Palästinensers. Was war dran an Schlesingers Entdeckung? War sie ein Hirngespinst, eine abenteuerliche Theorie, oder war Yussufs Bericht doch ernst zu nehmen? Yussuf konnte viel erzählen. Vielleicht war er ein begnadeter Märchenerzähler, vor allem angesichts des Geldes, das er ihm zugesagt hatte. Andererseits fügte sich Yussufs Geschichte nahtlos mit dem zusammen, was er bisher über Schlesinger wusste.
    Nach einer Weile des Nachdenkens meinte er fragend: »Gewiss hat sich Schlesinger mit seiner Theorie einige Feinde geschaffen?«
    »Einige?« Der Palästinenser hielt die Hand vors Gesicht. »Mr. Schlesinger hatte nur Feinde. Und selbst die, die ihm nichts Schlechtes nachsagten, erklärte er von sich aus zu seinen Feinden. Er war nach seiner Entdeckung ziemlich isoliert. Im Kollegenkreis ging das Gerücht, er sei verrückt geworden. Zeitungen, denen er von seiner Entdeckung berichtete, veröffentlichten nicht eine Zeile. Das kränkte ihn. Mir gegenüber machte er einmal die Bemerkung: ›Ich werde es allen heimzahlen.‹ Ich hatte keine Vorstellung, was Mr. Schlesinger damit meinte, aber als er es sagte, schien es mir, als wäre er plötzlich ein anderer. Als ich hier an einem Montagmorgen eine unerwartete Entdeckung machte, verwandelte sich sein offener, liebenswerter Charakter plötzlich ins Gegenteil. Für Sie, Mr. Gropius, mag ein Stein wie der andere aussehen, aber für mich hat jeder Stein ein Gesicht, und ich bemerkte sofort die fremden Gesichter an diesem Ort. Ich meldete Mr. Schlesinger meinen Verdacht und trommelte meine Leute zusammen. Es dauerte keinen halben Tag und wir hatten den Steintrog wieder freigelegt. Als ich den Deckel aufmachte, fand ich meinen Verdacht bestätigt. Die Knochen waren verschwunden.«
    »Hatte Schlesinger einen Verdacht?«
    Yussuf hob die Schultern und ließ sie langsam wieder sinken. Dann meinte er: »Wie ich schon sagte, dieses Ereignis veränderte

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