Die Akte Golgatha
seinen Charakter. Mr. Schlesinger redete kaum noch, und wenn er etwas sagte, dann waren seine Worte hasserfüllt und böse.«
»Aber das war noch nicht alles!«, warf Gropius ein. »Wie kam es zu der Explosion?«
Der Palästinenser schloss kurz die Augen, als erinnerte er sich an eine bestimmte Szene. »Es geschah so unerwartet und mit solcher Heftigkeit«, sagte er, »dass ich für kurze Zeit das Bewusstsein verlor, und unmittelbar danach fehlte mir jede Erinnerung. Erst allmählich, im Laufe mehrerer Wochen, kehrte mein Gedächtnis zurück.«
»So reden Sie schon!«, setzte Gropius nach. Seine Nerven waren überreizt. »Was passierte damals wirklich?«, fragte er eindringlich.
Zögernd, beinahe ängstlich beschrieb Yussuf, was am folgenden Tag geschah: »Ich wartete auf Mr. Schlesinger unten an der Stadtmauer, wo er gewöhnlich seinen Jeep parkte. Er wollte an diesem Morgen die Inschrift auf dem Steintrog fotografieren. Am frühen Morgen herrschten dafür die besten Lichtverhältnisse. Die Sonne stand tief, und die Einkerbungen der Inschrift warfen deutliche Schatten, sodass man sie gut lesen konnte. Doch bis Mr. Schlesinger seine Kamera in dem Erdkrater aufgebaut hatte, verging kostbare Zeit, und die Sonne hatte inzwischen eine ungünstige Position erreicht. Deshalb gab Mr. Schlesinger mir den Auftrag, eine Spiegelfolie aus seinem Auto zu holen, die das Sonnenlicht reflektierte. Ich konnte die Folie aber nicht finden, obwohl ich die halbe Ladung des Jeeps ausräumte. Inzwischen wurde Mr. Schlesinger ungeduldig. Er kletterte vom Grund des Kraters hoch und war gerade oben angekommen, als eine heftige Explosion den Zionsberg erschütterte. Obwohl ich fast hundert Meter entfernt stand, dachte ich, der Knall zerreißt meine Lungen. Vor mir stieg eine gewaltige Staubwolke hoch. Ich wusste nicht, was geschehen war. Wie im Traum rannte ich den Weg hinauf und rief ›Mr. Schlesinger‹, aber der Staub nahm mir die Sicht. Als sich die Staubwolke endlich gesetzt hatte, fand ich ihn, von Sand und Geröll zur Hälfte verschüttet. Man sah keine Verletzung. Er zitterte heftig an Armen und Beinen. Erst als ich ihn von Schutt und Staub befreite, sah ich seine Wunde in der Bauchgegend. Inzwischen hörte ich schon die Sirene eines Rettungswagens. Man brachte ihn ins St. John's Hospital. Dort wurde er operiert. Ein Splitter hatte Mr. Schlesingers Leber zerfetzt.«
Gropius musterte den Erdwall, auf dem sich der Anschlag abgespielt hatte. Nichts, aber auch gar nichts, deutete darauf hin, dass an dieser Stelle eine Bombe hochgegangen war, und hätte er Schlesingers Verletzung nicht mit eigenen Augen gesehen, Gropius hätte Yussufs Bericht misstraut.
»Sagen Sie, Yussuf«, begann Gropius nachdenklich, »warum haben weder Sie noch Schlesinger bemerkt, dass unter dem Steintrog eine Bombe versteckt war?«
Der Palästinenser machte ein ärgerliches Gesicht: »Sie glauben mir nicht, Mr. Gropius?« Hastig fingerte Yussuf das Geldbündel aus der Tasche, das Gropius ihm auf der Fahrt hierher übergeben hatte, warf es ihm vor die Füße und machte Anstalten, sich zu entfernen.
Gropius bekam ihn am Ärmel zu fassen, und es bedurfte großer Überredungskunst und mehrerer Entschuldigungen, bis der Palästinenser sich beruhigt hatte.
»Warum sollte ich Sie anlügen?«, meinte er, noch immer beleidigt. »Was hätte ich davon, Ihnen irgendeine Geschichte zu erzählen? Entweder Sie glauben mir, oder Sie vergessen, dass wir uns begegnet sind, Mr. Gropius.«
Auf diese Weise gemaßregelt, zog Gropius es vor, zunächst keine weiteren Fragen zu stellen.
Erst nach längerem Schweigen kam Yussuf auf Gregors Frage zurück: »Die Bombe war in der Erde eingegraben. Vermutlich hat man sie unter dem Steintrog versteckt; denn das zentnerschwere Ding wurde in tausend Stücke zerrissen!«
»Und wie wurde die Explosion ausgelöst? Was glauben Sie? Was hat die Polizei herausgefunden?«
Yussuf verstaute das Geldbündel, das er kurz zuvor weggeworfen hatte, erneut in seiner Brusttasche und meinte: »Ach wissen Sie, Mr. Gropius, in dieser Stadt hat man gelernt, mit Bomben zu leben. Sie gehören beinahe zum Alltag. Eine Bombe, die kein Todesopfer fordert und nicht einmal Sachschaden anrichtet, erregt niemandes Interesse. Ich kann mich nicht einmal erinnern, dass eine Zeitung über den Vorfall berichtet hätte.«
Mit seinem Gehstock stocherte der Alte in dem steinigen Erdreich herum, als suchte er nach verbliebenen Relikten. »Nichts«, bemerkte er nach einer
Weitere Kostenlose Bücher