Die Akte Golgatha
»Oh!« hervor.
Die Carrer Caralt lag in einem westlichen Vorort der Stadt, und Maria schlug vor, Metro und S-Bahn zu benutzen, die wesentlich schneller seien als jedes Taxi. Gropius war einverstanden, und sie bestiegen an der Plaza Catalunya die Metro der Linie 1, fuhren bis zur Plaza de Sants und wechselten dort in die S-Bahn der Linie 5 Richtung Cornellà. Irgendwo im Westen, wo die Häuser alt und heruntergekommen aussahen, stiegen sie aus.
Nach zehnminütigem Fußmarsch durch Straßen, die von Bauschutt-Containern und Autowracks gesäumt wurden, erreichten sie die genannte Straße. Die Häuser waren mindestens hundert Jahre alt, jedenfalls machten sie den Eindruck, einige waren eingerüstet, andere schienen unbewohnt und auf den Abriss zu warten.
Ein paar dunkelhäutige Halbwüchsige in Trikots des FC Barcelona spielten auf der Straße Fußball, und der Lärm, den sie verursachten, hallte von den Häuserwänden der durchweg vierstöckigen Gebäude.
»Pot ajudarme, sisplau?«, rief Maria-Elena den Jungen zu. »Könnt ihr mir bitte helfen?«
Die Jungen bildeten einen Kreis um die Fremden und musterten sie verächtlich. Gropius war nicht wohl in seiner Haut. In Gedanken addierte er sein Bargeld, das er in der Tasche trug, und ihm fiel ein, dass er keine Telefonnummer bei sich hatte, um seine Kreditkarten zu sperren. Da geschah etwas Seltsames.
Kaum hatte die Fremdenführerin die Hausnummer 17 genannt, da kehrten ihr die Halbwüchsigen den Rücken, nur einer, der Jüngste, deutete auf ein schmalbrüstiges Gebäude mit leeren Fensterhöhlen und verkohlter Außenfassade.
Gropius und Maria-Elena sahen sich fragend an. Auf der Straße wurde es still. Die Balltreter schienen wie vom Erdboden verschluckt. Im Näherkommen erkannte Gropius über dem Eingang der Brandruine die Hausnummer 17. Zweifellos war das Gebäude schon vor Jahren abgebrannt und dämmerte seinem Abriss entgegen.
»Kann es sein, dass ihr – Feind – noch andere Feinde gehabt hat?«, fragte Maria-Elena, die sich als Erste von der Überraschung erholte.
»Sie meinen – Brandstiftung?«
Das Mädchen verdrehte den Kopf. »Die Reaktion der Jungen war ziemlich merkwürdig. Finden Sie nicht?«
Auf Gropius wirkte die Straße irgendwie bedrohlich – er konnte nicht sagen, warum. Wenn er sich umsah, schien es, als verschwänden hinter trüben Scheiben und grauen Vorhängen neugierige Gesichter. Nur eine schwarz gekleidete alte Frau im Haus gegenüber ließ ihrer Neugierde freien Lauf und verfolgte durch das geöffnete Fenster jeden ihrer Schritte.
Wen sie denn suchten, rief sie mit kräftiger Stimme auf die menschenleere Straße.
Ob sie einen gewissen Ramón Rodriguez kenne, fragte Maria-Elena zurück, er solle in der Carrer Caralt 17 gewohnt haben.
Die Alte beteuerte, sie haben den Namen nie gehört, dabei wohne sie schon dreißig Jahre hier, und das Haus sei abgebrannt, Brandstiftung hieß es, die Bewohner seien fortgezogen. Dann schloss sie das Fenster so heftig, dass Gregor glaubte, die Scheiben würden zerspringen.
»Tut mir Leid, dass wir nicht erfolgreich waren«, meinte das Mädchen, als sie wieder in der S-Bahn saßen. »Aber in Barcelona einen Ramón Rodriguez zu finden ist etwa so schwierig, wie in München einen Peter Müller ausfindig zu machen. Nicht gerade ein seltener Name, Sie verstehen!«
Es war naiv gewesen zu glauben, Rodriguez habe im Hotel in München seine richtige Adresse angegeben. Abgespannt kehrte Gropius in sein Hotel zurück. Er ärgerte sich über sich selbst, dass er diesem Rodriguez auf den Leim gegangen war. Um seinem Ärger Luft zu machen, griff Gregor zum Telefon und wählte Francescas Nummer. Er hatte das dringende Bedürfnis, ihre Stimme zu hören.
Eigentlich wollte er ihr sagen, wie sehr sie ihm fehlte, wie sehr er sich an sie gewöhnt hatte; aber dann schilderte er ihr in allen Einzelheiten die Suche nach Rodriguez' Adresse und dass dieser ihn an der Nase herumgeführt hatte.
Francesca lauschte geduldig am Telefon. Als er geendet hatte, sagte sie: »Du solltest im Hafen nach Rodriguez suchen.«
»Keine schlechte Idee«, bemerkte Gropius eher belustigt.
»Nein, ernsthaft!«, erwiderte Francesca. »Ich muss dir etwas erklären.«
»Ich höre!«, entgegnete Gropius.
»Damals, in dem einsamen Gehöft bei Asti, als wir die rätselhafte E-Mail aus Barcelona studierten und überstürzt das Haus verließen, habe ich etwas mitgehen lassen: die Kassette aus dem Anrufbeantworter. Ich vergaß, es dir zu
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