Die Akte Golgatha
Organisation handeln, die sich in absoluter Sicherheit wiegt. Absender wie beim ersten Mal ein Satellitentelefon oder Mobilanschluss im westlichen Mittelmeer, Empfänger eine Nebenstelle des Klinikums.«
Peters lachte verbittert: »Wie ich schon sagte, das sind eiskalte Profis. Die pflegen einen ganz neuen Stil des Verbrechens.«
»Sie sprechen im Plural, Peters?«
»Nun ja, in der ersten Mail tauchte kein persönliches Fürwort auf, das den Schluss auf einen oder mehrere Absender zuließ. Dafür wurde der Adressat mit ›Du‹ angeredet. Hier«, Peters deutete auf den Bildschirm, »in diesem Fall ist es genau umgekehrt. Der Adressat wird überhaupt nicht angesprochen. Dafür outen sich die Absender ›wir warten‹ und ›wir haben den Eindruck‹ im Plural. Mit anderen Worten, wir haben es im Klinikum vermutlich mit einem Schläfer zu tun, der wahrscheinlich von einer Organisation mit Sitz in Spanien gelenkt wird.«
»Immerhin mal was Neues«, bemerkte Meyer in einem Anflug von Sarkasmus. »Wie wollen Sie weiter verfahren?«
»Zunächst einmal wollen wir die Wortwahl der neuen Mail analysieren und mit der ersten abgleichen, und dann werden wir alle gemeinsam ein Gebet sprechen, damit die feinen Herren noch viele E-Mails schicken, die uns auf ihre Spur bringen.«
»Dann lassen Sie mich den Termin wissen.«
»Was meinen Sie?«
»Den Termin Ihrer Gebetsstunde, Peters! Ich will mich gern beteiligen.«
Rita war einfach immer da, wenn man sie brauchte, und manchmal schämte sich Gropius wegen seines egoistischen Verhaltens. Gewiss, er war ihr gegenüber immer ehrlich gewesen und hatte ihr keine Hoffnungen gemacht, dass aus ihrem Verhältnis jemals eine ernsthafte Beziehung werden könnte; aber das rothaarige Mädchen von der Röntgenstation schien zufrieden mit dem, was war, und wenn er sie ›the sexiest girl in the world‹ nannte, war sie glücklich. Vielleicht hoffte sie auch, Gropius mit der Zeit noch umstimmen zu können. Es gibt eben Frauen, die hat kein Mann der Welt verdient.
Als Rita nach seinem Anruf bei Gregor eintraf, hatte sie eigentlich erwartet, sie würden zusammen die Nacht verbringen, deshalb konnte sie ihre Enttäuschung nicht verbergen, als Gropius sie in seinen Plan einweihte. Er benötigte eine Kopie der Warteliste von ELAS, dem Eurotransplant Liver Allocation System, und zwar eine Auflistung der Dringlichkeitsstufen T2 bis T4, unter Berücksichtigung des regionalen Bereichs Süddeutschland. Was sich kompliziert anhörte, konnte mit geringem Aufwand, unter Einsatz des Codes ›PUGH‹, von jedem Computer im Klinikum abgerufen werden. Dennoch bat er Rita, den Auftrag möglichst unbemerkt auszuführen.
Tags darauf erschien Rita bei Gropius in einem atemberaubenden eng anliegenden grünen Pullover, der geeignet war, einen normalen Mann um den Verstand zu bringen; aber normal war Gregor schon seit geraumer Zeit nicht mehr, und so hatte er – was Rita natürlich nicht entging – nur Augen für den Computerausdruck, auf dem etwa dreihundert Namen, Adressen, Telefonnummern, Dringlichkeitsstufen und Punktezahlen verzeichnet waren. Dreihundert Schicksale, von denen viele ein erbärmliches Ende nehmen würden, weil zu wenig Spenderorgane vorhanden waren.
Es gab nur zwei Möglichkeiten, von dieser Liste gestrichen zu werden, zwei Möglichkeiten, wie sie unterschiedlicher nicht sein konnten. Möglichkeit Nr. eins: durch eine erfolgreiche Organtransplantation. Möglichkeit Nr. zwei: durch Tod, weil kein Organ zur Verfügung stand.
Gropius wusste, seine Chance war nicht besonders groß, aber die Idee schien auch nicht aussichtslos. Er ging die alphabetische Liste durch, bis sein Blick plötzlich an Nr. 27 hängen blieb: Werner Beck, geboren 1960, wohnhaft in Starnberg, Am Wiesensteig 2, Dringlichkeitsstufe T2. Werner Beck? Gropius hielt verblüfft inne: der Sauerkrautkonserven-Fabrikant und Liebhaber Veroniques?! Zwar kannte er dessen Alter nicht, aber Gropius wusste, Beck lebte in einer großzügigen Villa am Starnberger See. Was ihn verblüffte, war nicht allein die Tatsache, dass Becks Name auf der Warteliste stand, noch mehr wunderte ihn die Dringlichkeitsstufe T2. T2, das bedeutete akute Dekompensation, also Leberversagen, ein Mann mit T2 war nur ein halber Mann oder nicht einmal das. Und mit so jemandem sollte Veronique ein Verhältnis haben?
Inzwischen hatte Gropius ein Gespür für Ungereimtheiten entwickelt, und dies war so eine Situation, die eine Reihe von Fragen aufwarf. Also setzte
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