Die Akte Golgatha
entfernte sie voneinander. So hing jeder seinen eigenen Gedanken nach. Felicia wollte nicht begreifen, dass Gropius ergebnislos aus Berlin zurückgekehrt war; sie argwöhnte, dass es doch etwas gab, was er ihr verschwieg. Und Gropius hatte Schwierigkeiten, sich mit seinem Misserfolg abzufinden. Es wurmte ihn, dass Felicia mit der Entdeckung einer einzigen Telefonnummer unter Umständen mehr erreicht hatte als er mit seinen aufwändigen Nachforschungen.
Aber mitten hinein in sein Selbstmitleid, eine Eigenschaft, die ihm bislang völlig fremd gewesen war und die er an anderen stets verachtet hatte, kam Gropius eine Idee. Von seinem Einfall fasziniert, erhob er sich, murmelte eine kurze Entschuldigung und fuhr nach Hause.
Beim Bundesnachrichtendienst in Pullach herrschte gereizte Spannung. Am späten Nachmittag hatte SIGINT eine weitere E-Mail herausgefiltert, deren Text im Normalfall nicht das geringste Interesse der Abteilung 2 gefunden hätte; doch der Code IND, mit dem auch diese elektronische Nachricht gezeichnet war und den Heinrich Meyer, der Leiter von Signal Intelligence, inzwischen in den Raster seiner Suchmaschinen aufgenommen hatte, ließ die Alarmglocken schrillen.
Meyer, wie immer im grauen Anzug, konnte sich ein süffisantes Grinsen nicht verkneifen, als er kurz nach 17 Uhr die aufgefangene Mail von seinem Bildschirm auf den Monitor von Ulf Peters legte, dem Leiter der Abteilung 5 – Operative Aufklärung. Peters, offiziell zuständig für den Fall, hatte sich an dem Code IND bereits die Zähne ausgebissen. Er war allen möglichen Spuren nachgegangen, die von Wirtschaftsspionage über Drogenhandel bis zum internationalen Terrorismus reichten. Peters war wirklich ein zäher Hund, der nicht so schnell aufgab – aber in diesem Fall hatte er entmutigt, um nicht zu sagen verzweifelt, beinahe aufgegeben, er hatte einfach keine Lust mehr, sich mit einem Problem zu beschäftigen, hinter dem vielleicht nur eine ganz harmlose Geschichte steckte. Insgeheim hoffte er, dass die Angelegenheit im Sande verlaufen würde, wo zwei Drittel aller aufgefangenen Nachrichten endeten.
Doch seine Hoffnung erfüllte sich nicht. Missmutig auf seine Ellenbogen gestützt, las er den Text auf seinem Bildschirm:
»E-Mail 16 Uhr 20. IND Klinikum MUC
Warten noch immer auf Vollzugsmeldung. Haben den Eindruck, es gibt zu viele Schnüffler auf der Welt. Es könnte angebracht sein, sich dieser mit sanfter Gewalt zu entledigen. Der Zweck heiligt die Mittel. IND«
Mit den Fingernägeln trommelte Peters auf die Tischplatte. »IND, IND«, wiederholte er im Flüsterton, während er unablässig auf den Bildschirm starrte.
Wenig später steckte Meyer seinen grau melierten Kopf zur Tür herein. »Und?«, fragte er herausfordernd, nachdem er die Tür hinter sich zugezogen hatte.
»Was und?«, entgegnete Peters genervt.
»Ich meine, haben Sie eine Spur, einen Anhaltspunkt?«
Peters las den Text auf dem Bildschirm zum wiederholten Mal, langsam, Wort für Wort, wie ein Gebet, als wollte er den Text verinnerlichen. Schließlich zeigte er mit dem Zeigefinger auf die Wörter ›sanfte Gewalt‹.
Meyer nickte. »Ist zwar nicht mein Job, aber verboten ist es auch nicht – mitzudenken, meine ich. Die Wortkombination ›sanfte Gewalt‹ …«
»Ich weiß«, unterbrach ihn Peters. »Die Formulierung deutet in der Tat auf die ehrenwerte Gesellschaft hin.«
»Also Mafia.«
»Früher sprachen die Herren von ›killen‹, heute sind sie viel vornehmer, sie reden von sanfter Gewalt, aber sie meinen dasselbe. Ich glaube, wir müssen uns da auf einiges gefasst machen!«
»Und der Code IND?«
»Das ist kein Code, jedenfalls nicht im Sinne einer geheimen Organisation. Per Computeranalyse haben wir alle denkbaren, vor allem alle logischen Wortkombinationen in Deutsch und Englisch aufgelistet. Das Ergebnis war sehr ulkig: Von über tausend möglichen Kombinationen meldete das System etwa hundert Kombinationen, deren Bedeutung bekannt ist; aufgegliedert in die Sparten Terrorismus, Drogen, Handel und Wirtschaft blieb nicht eine sinnvolle Abkürzung im Raster hängen. Sorry, Fehlanzeige.«
Beinahe angewidert blickte Meyer auf den Bildschirm. Dabei kniff er die Augen zusammen und rümpfte die Nase: »Und wie bei der ersten Mail in einem Wortlaut gehalten, der in diesen Kreisen absolut unüblich ist. Klingt eher wie das Telegramm einer bösen Schwiegermutter.«
»Was es aber bestimmt nicht ist!«
»Natürlich nicht. Es muss sich dabei um eine
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