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Die Akte Golgatha

Die Akte Golgatha

Titel: Die Akte Golgatha Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Vandenberg
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gegenüberliegenden Straßenseite vor einem Blumengeschäft geparkt. Eine Straßenbahn dröhnte vorbei in Richtung Kurfürstenplatz und zog eine kalte Staubwolke hinter sich her. Der Boden vibrierte unter den Eisenrädern. Es gibt einnehmendere Straßen als diese, dachte Gropius, jedenfalls wird sie dem bedeutungsvollen Namen in keiner Weise gerecht. Er hatte die Straße fast überquert und fingerte in der Tasche seines alten Regenmantels nach dem Wagenschlüssel, als er aus dem Augenwinkel sah, wie eine dunkle Limousine von vorne auf ihn zuschoss. Intuitiv sprang er zur Seite, um dem aufheulenden Fahrzeug noch auszuweichen, doch das Manöver gelang nur unvollständig. Der vordere Kotflügel traf seinen Oberschenkel und schleuderte ihn rückwärts gegen sein geparktes Auto. Für einen Augenblick verlor er die Besinnung.
    Das ging alles so schnell, dass Gropius von dem Vorgang kaum mehr als das Geschilderte mitbekam. Seine Beine zitterten, und er klammerte sich an den Außenspiegel seines Geländewagens, während er zaghaft alle Körperteile bewegte, ob sie noch heil waren. Als er wieder bei klarem Bewusstsein war, hielt er Ausschau nach dem dunklen Wagen – natürlich vergebens. Auf der Straße mit dem hochtrabenden Namen strömte der Verkehr, als wäre nichts geschehen.
    Erschöpft setzte sich Gropius in seinen Wagen und ließ den Kopf auf das Lenkrad sinken. Sein Atem ging schwer, er hatte das Gefühl, nicht genügend Luft zu bekommen. Die Gedanken wirbelten durch seinen Kopf, ohne dass er auch nur einen hätte zu Ende denken können. Aber eines wusste er ganz genau: Dieser Unfall war kein Zufall.
    Mit zitternder Hand drehte Gropius den Zündschlüssel und fuhr los. Er schenkte dem brodelnden Verkehr keine Beachtung. Sein Rücken tat weh, und er konnte das linke Bein kaum bewegen. Wie im Traum, mechanisch, nahm Gropius den Weg durch die City nach Hause in Richtung Süden.
    Vergeblich suchte er nach einer Erklärung für den Vorfall. Sein Gehirn spulte mehrmals hintereinander die Namen all jener ab, die ein Interesse haben konnten, ihn zu beseitigen. Doch jedem Verdacht fehlte der Beweis. Schon viel zu lange bewegte er sich in einem Kreis von Verdächtigungen, Mutmaßungen und Ratlosigkeit – ein Zustand, der ihn allmählich krank machte, unsicher, ängstlich, ja hysterisch.
    Wie er sein Haus in Grünwald erreichte, vermochte Gropius später nicht mehr zu sagen. Er erinnerte sich nur noch, dass er eine Flasche Bourbon an die Lippen setzte. Dann wurde ihm schwarz vor Augen.
    Als er wieder zu sich kam, hatte Gropius jedes Zeitgefühl verloren. Ihm war, als hätte er irgendwann im Schlaf das Telefon oder die Türglocke gehört, aber vielleicht, dachte er, hatte er auch nur geträumt. Sein Körper schmerzte, und um seinen Schädel spürte er eine eiserne Klammer. Mit verschleiertem Blick nahm er die Whiskyflasche wahr, die vor seinem Bett auf dem Boden lag, ein Anblick, der ihn nachdenklich stimmte. Da schallte die Türglocke. Es klang gnadenlos schrill in seinen Ohren. Mühsam rappelte er sich hoch, ein stechender Schmerz in seinem Kopf ließ ihn leise aufstöhnen. Als das Läuten heftiger wurde, entschloss er sich aufzustehen. Das bereitete Schwierigkeiten. Erst jetzt merkte Gropius, dass er in voller Kleidung geschlafen hatte. Die Glocke schrillte immer heftiger.
    »Ich komme ja schon«, knurrte Gropius, während er sich über die Treppe nach unten quälte. Als er öffnete, stand Felicia vor der Tür. Sie war aufgelöst.
    »Wo stecken Sie die ganze Zeit?«, rief sie aufgeregt. »Ich versuche Sie seit gestern zu erreichen!« Erst jetzt fiel ihr das jämmerliche Erscheinungsbild auf, das der Professor abgab.
    Gropius machte eine einladende Handbewegung, die jedoch ziemlich tollpatschig wirkte, so als versuchte sich ein Landstreicher in feinen Umgangsformen. »Bourbon«, meinte er entschuldigend, weil er Felicias Blick auf sich spürte, »war wohl etwas zu viel des Guten, aber nicht grundlos!«
    So hatte Felicia den Professor noch nie gesehen, selbst damals nicht, als er dem Sprengstoffanschlag nur knapp entgangen war. »Was ist passiert?«, erkundigte sie sich vorsichtig. »Sie sehen wirklich nicht gut aus.« Beunruhigt musterte sie den Professor.
    Gropius schüttelte immer wieder den Kopf. Er begriff ja selbst nicht, was sich am gestrigen Tag ereignet hatte. Und dann begann er, wie ein wildes Tier im Salon auf und abgehend, zu erzählen: wie er Lewezow mit Nachforschungen in Sachen Organmafia beauftragt hatte, wie

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